Höhen und Tiefen der Zigarrenbranche

Fr, 25. Aug. 2017

«Changing Business Models, Start up, Vernetzung, Präsenz auf den Weltmärkten, Innovation, Nachfolge»: alles Herausforderungen für heutige Unternehmer. Wie war das früher? Vor welchen Herausforderungen standen die Schweizer Unternehmer zu Beginn der Industrialisierung?

Von Dieter Weber* und Martin Suter

Dieter Weber, ein Nachkomme der Firma Weber Söhne AG in Menziken, ist in die Vergangenheit eingetaucht und zeigt den boomhaften Aufschwung der Zigarrenfabriken Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

Weber Söhne AG: Einst einer der ganz grossen Namen am Wynentaler Industriehimmel. Die Urzelle der ältesten Zigarrenfabrik befand sich im sogenannten «Neuhaus» in der Menziker Hasenwacht. Später wurde die Produktion ins Menziker Oberdorf verlegt, wo die Fabrikanten mit den beiden Villen «Eintracht» und «Concordia » bauliche Akzente ihres prosperierenden Unternehmens setzten. Nachdem der Betrieb grösser und grösser wurde, zog die Weber Söhne AG ins Dorfzentrum. Produziert wurde damals in der Grünau (wo sich die heutige Einfahrt zur Tiefgarage des Menzo-Marktes befindet) und Altau. 1951 expandierte die Firma ins langgezogene Gebäude auf der Platte – in die ehemalige «Stricki». Eine Konzentration, die zur Schliessung der damaligen Fabriken in Rickenbach und Kölliken führte.

Start up im Wynental

Einer, der die auslaufende Blütezeit der Zigarrenindustrie noch aus nächster Nähe erlebte, ist der in Menziken aufgewachsene und heute in Aarau lebende Dieter Weber. Sein Ur-Ur-Ur- Grossvater, Samuel Weber, begann 1838 mit der Tabakherstellung im Wynental – als start up!Was demTabakpidemTabakpionier dabei alles widerfahren ist, schildert Dieter Weber (D.W.) im nachfolgenden Beitrag, den er auf Einladung des Swiss Export Journals verfasst hat. SeineAusführungen sind gleichsam die interessante Antwort auf die eingangs gestellten Fragen. Aber auch eine lebendige Erinnerung an eine heute fast verschwundene Branche – die Zigarrenindustrie.

Das Wynental um 1820

Das aargauische Wynental gehörte im frühen 19. Jahrhundert zum Kerngebiet der Textilmanufaktur. Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter sowie deren Kinder verarbeiten Rohbaumwolle zu Tüchern. Sogenannte Ferger brachten ihnen die Baumwolle und holten die fertigen Produkte wieder ab, um sie den Unternehmern abzuliefern, die man «Verleger» nannte. Nun entstanden aber erste Fabriken, welche dieses dezentrale Verlagssystem abzulösen began-nen: An den grossen Flüssen Limmat, Reuss undAare wurden leistungsfähige Spinnereien gebaut. Das kleine Flüsschen Wyna hatte zu wenig Kraft. Das Problem fehlender Wasserkraft akzentuierte sich, als in den 1830er Jahren auch die Mechanisierung der Weberei einsetzte. Das Wynental kam wirtschaftlich ins Hintertreffen. Die Landwirtschaft reichte allein nicht aus zur Ernährung der Familie.Was war zu tun?

Not macht erfinderisch

Von dieser Umwälzung war auch Samuel Weber in Menziken betroffen. Nebst der Landwirtschaft war er bereits unternehmerisch tätig, nämlich in der Bandweberei. Letztere scheint für die 11köpfige Familie nicht mehr genug abgeworfen zu haben. «Besorgt schickte er seinen zweitältesten Sohn Johannes in die Welt hinaus mit dem Auftrag, sich nach neuen Erwerbsquellen umzusehen ». Samuel Weber, damals 53 Jahre alt, beschloss die Aufnahme eines neuen Erwerbszweiges, der Tabakherstellung. Die Fabrikation im Kleinen konnte 1838 beginnen. Weber behielt die Bandweberei vorerst bei und nannte sein Geschäft «Band- und Tabakfabrik S.Weber». Komplizierte Apparaturen erforderte die Zigarrenherstellung nicht. Einige Wochen Anlernzeit, manuelles Geschick und einfachste Einrichtungen genügten. Der Kapitaleinsatz war am Anfang bescheiden.

Es geht voran

Bereits 1843 errichtete Samuel Weber mit seinem Startup das «Neuhaus» in Menziken, die erste eigentliche Zigarrenfabrik der Region.Weber konnte zusätzlich die Gebäude der sich im Rückzug befindlichen Textilindustrie übernehmen. Das Tabakgewerbe konnte Armut und Abwanderung in der Region vorerst nicht wirksam eindämmen. Viele wanderten mangels Perspektiven in die Vereinigten Staaten aus. Dies geschah meist mit finanzieller Unterstützung der Heimatgemeinde, welche die Reisekosten berappte, um die Armen los zu sein und sich von künftigen Armenlasten frei zu halten. Nachfolge Parallel zum Niedergang der Bandweberei und zum Einstieg in die Tabakfabrikation hatte Samuel Weber seine Nachfolge zu regeln. Im Alter von 72 übergab Weber seinen Betrieb definitiv den beiden Söhnen Johann Jakob und Gottlieb. 1857 firmierte die Firma Weber bereits als «Sl.Weber&Söhne». Die Nachfolge in der Familie, mit 9 Kindern wohl eine Herausforderung, war vollzogen. Die Firma erhielt frisches Blut.

«Ein Grossauftrag katapultierte die junge Zigarrenindustrie 1862 in neue Sphären.»
(Der Sezessionskrieg zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten löste damals ein schier unglaubliches Auftragsvolumen aus)

 

Diversifikation: Mit neuen Produkten in neue Märkte

Für die Firma Weber ging es nicht nur darum, neue Produkte, nämlich Zigarren, zu entwickeln, sondern sie musste auch das Rohmaterial Tabak, welches schon dazumal aus Qualitätsgründen vorwiegend aus dem Ausland (Übersee) stammte, beschaffen. Dies geschah weitgehend über Agenten, welche diese Rohmaterialien ins Wynental lieferten. Ein Brief von 1850 belegt, dass die Firma Weber schon damals Tabake aus Übersee bezog, unter anderem aus Kuba, Puerto Rico, Santo Domingo und sogar aus dem südostasiatischen Java. Anspruchsvoll dürfte auch der Vertrieb gewesen sein: Sie musste ihre Produkte direkt auf neuen Märkten absetzen, denn es gab keine Ferger und Verleger wie in der Textilmanufaktur. So wurde die Firma Weber frühzeitig internationalisiert.

1862: Die grosse Chance auf dem Weltmarkt

Ein Grossauftrag katapultierte die junge Zigarrenindustrie 1862 in neue Sphären. Der grosse Deal hängt zusammen mit dem nordamerikanischen Bürgerkrieg, dem Sezessionskrieg zwischen Nord- und Südstaaten von 1861- 1865. Die Kantonsgeschichte von 1870 berichtet: «Die Episode beweist, wie die Ereignisse in fernen Erdteilen ihre Wellenschläge zu uns herübersenden: Agenten der nordamerikanischen Armeelieferanten schlossen mit einem Tabakfabrikanten Verträge ab, nach den derselbe monatlich anfangs 4 Mio., dann bis 10 Mio. Stück Zigarren liefern sollte.» Zum Vergleich: 10 Mio. Stück pro Monat entspricht in etwa dem heutigen monatlichen Exportvolumen Kubas an Premiumzigarren. Welcher Fabrikant hat den Grossauftrag erhalten? Anhand der bruchstückhaft erhaltenen Unterlagen der Firma Weber Söhne lässt sich erahnen, dass es sehr wohl dieses Unternehmen gewesen sein kann, das den Traumauftrag aus den USA erhielt. Nicht nur vervierfachte sie in dieser Zeit ihr Eigenkapital, sondern sie konnte auch 1865 gegenüber dem Fabrikareal eine luxuriöse Villa bauen. Dieses Produktionsvolumen konnte die Firma Weber nicht alleine bewältigen. Sie vervielfachte zwar ihre Produktionskapazitäten und beschäftigte offenbar eine Zeitlang über 3000 Arbeiter. Sie arbeitete jedoch mit verschiedenen Unterlieferanten zusammen. Ferner rekrutierten die Unternehmer im grossen Stil Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter. Das Potenzial war ja vorhanden: Die in der Region stark verbreitete Heimweberei war gerade am Einbrechen. Die junge Tabakindustrie hatte bis zu diesem Zeitpunkt kaum auf Heimarbeit gesetzt, sondern die brachliegenden Textilfabriken genutzt. Nun musste sie für den Grossauftrag aus Amerika auch auf Heimarbeiter zurückgreifen.Auf diese Art und Weise konnte gleichzeitig das 1863 in Kraft getretene Fabrikpolizeigesetz umgangen werden: Dieses neue Gesetz verbot die Kinderarbeit in Fabriken und limitierten sie für 13 bis 16 jährige Kinder auf 12 Stunden. Diese Bestimmungen galten aber nur für jene Fabriken, welche mehr als 10 Arbeiter beschäftigten.

«10 Mio. Stück pro Monat entspricht in etwa dem heutigen monatlichen Exportvolumen Kubas an Premiumzigarren.»
(Dieter Weber veranschaulicht das Grössenverhältnis der damaligen Lieferungen nach Amerika und zieht einen Vergleich zwischen 1862  und der Gegenwart)

Kurzer Boom etabliert die junge Branche

Der amerikanische Grossauftrag lies die jungen Zigarren-Startups boomen, das Strohfeuer verlöschte aber nach kurzer Zeit wieder. Der Sezessionskrieg endete 1865, die Produktion wurde heruntergefahren. Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter verloren grösstenteils ihre Arbeit. Bei Weber Söhne waren plötzlich verschiedene grössere Fabrikationslose unverkäuflich. Andere Abnehmer mussten gefunden werden, teilweise auch auf anderen Weltmärkten. Ein Inventar listet Produkte der Firma auf, die in Hamburg, Bologna, London, Liverpool, ja sogar Melbourne und Sydney lagerten. Insgesamt aber ging die Tabakindustrie gestärkt aus der kurzen Boomperiode hervor. Die Fabrikanten hatten erkleckliche Gewinne ins Trockene gebracht. Die Branche hatte sich festigen können, ihre Erzeugnisse waren auch in der Schweiz bekannter geworden.

 

Zum Autor: Lic.iur. HSG Dieter Weber,
Rechtsanwalt und dipl. Steuerexperte, ist
Gründungspartner der Tax Partner AG in
Zürich und wohnt in Aarau. Er ist in direkter
Linie mit Samuel Weber verwandt.

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