Die letzten Lebensräume sind in Gefahr

Do, 30. Apr. 2020
Wie würden Sie entscheiden? Diese alte Baumgruppe an der Hauptstrasse in Menziken ist von grossem Wert für die Natur und die Besitzer. Doch im Gesetz steht auch, dass die Bäume zu nahe an der Grenze zum Nachbarn stehen. (Bild: rc.)

Der Natur- und Vogelschutzverein Menziken-Burg stellt besorgt fest, dass im Siedlungsraum immer mehr Strukturen für Kleinlebewesen verschwinden. Das verdichtete Bauen geht auf Kosten der Natur. Wer bauen will, macht rechtlich aber nichts falsch.

rc. Ausgangspunkt einer kurzen Begehung Menzikens ist das Hamburg-Areal. Hier befindet sich eine Endmoräne, die viele Jahre als Kiesgrube genutzt wurde. Im hintersten Teil ist ein kleines Naturschutzgebiet mit vier Teichen entstanden. Mit gebührendem Abstand klären Barbara Eichenberger und Pia Jaggi ab, was die Sanierung der vier Teiche kostet. Zusammen mit Hansuli Christen sind sie Co-Präsidentinnen des Natur- und Vogelschutzvereins Menziken-Burg NVMB. Ein Fachmann wurde herbeigezogen, denn es sind Aushubarbeiten nötig. Der Rest des Areals findet gegenwärtig als Parkplatz Verwendung, dereinst soll hier eine grosse Überbauung entstehen – wann, ist unklar (siehe Artikel unten).

Naturschützer: «Wir sollten von den Behörden mehr einbezogen werden»

«Wir haben einen schweren Stand», sagt Barbara Eichenberger mit Blick auf das Areal. «Im Zusammenhang mit der Überbauung wird zwar mit der Nähe zum Naturschutzgebiet geworben, umgekehrt wurden wir aber kaum in die Planung einbezogen.» Im Gegenteil: letztes Jahr wurde ein gut 50 Jahre alter Baum an der Grenze zum Naturschutzgebiet gefällt, der Insekten und Vögeln noch als Lebensraum hätte dienen können. In der geschützten Hecke wurde ebenfalls abgeholzt. «Wir stellen fest, dass immer mehr grosse alte Baumbestände im Siedlungsraum ohne Abklärungen gefällt werden. Abstand zu Gewässern werden missachtet, Schutzzonen und -zeiten nicht respektiert.» Die Zusammenarbeit mit der Pflegegruppe der Naturschutzkommission ist sehr gut, sagt Eichenberger, aber auch: «In Sachen Naturschutz sollten wir von den Behörden mehr einbezogen werden.»

Bauherr: «Wenn der Baum stehen bleibt, kann ich nicht bauen»

Zu zweit geht es nun mit der Naturschützerin an den zahlreichen Baustellen Menzikens vorbei. Bemerkenswert, wie viele Investoren weiterhin an den Erfolg in einem stark übersättigten Markt glauben. Immer wieder fallen bei der Sichtung Baumstümpfe auf. «Jetzt im Frühling», erklärt die Naturschützerin, «dürfen Bäume nicht ohne Weiteres gefällt werden». Sie tippt auf eine Liste mit Gesetzesartikeln, die zum Beispiel beschreiben, dass mit dem Fällen bis nach der Nistzeit zugewartet werden muss. In der Regel dauert diese von März bis September.

Immer wieder melden sich bei den Besichtigungen Nachbarn über den Gartenzaun. Einige schimpfen, es würde nur das Geld regieren, andere verstehen nicht, warum ein Baum wegen fehlender Aussicht verschwinden müsse. Aber auch ein Bauherr ist vor Ort und meldet sich zu Wort.Wie die Nachbarn will er nicht namentlich genannt werden. Er erklärt seine Sicht der Dinge: «Wir sind hier in der Bauzone, aber wenn ich den Baum stehen lasse, kann ich nichts bauen. Deshalb haben wir vor dem Fällen alle gesetzlichen Abklärungen gemacht.» Der Redaktion liegen verschiedene Bestätigungen vor, die zeigen: die Bauherren machen im Grunde alles richtig. «Hier liegt die Krux in der ganzen Sache», bestätigt Naturschützerin Barbara Eichenberger, «die Gesetze passen nicht mehr zur Natur, die sich sehr schnell verändert.»


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BirdLife: «Im Siedlungsraum findet eine schleichende Veränderung statt»

Bei der Organisationen BirdLife kennt man das Problem. «Der Siedlungsraum verändert sich schleichend. Girlitz, Grünfink, Mehlschwalbe oder Grauschnäpper nehmen ab», bestätigt Mediensprecher Stefan Bachmann. Das zeigen Brutvogelzählungen der Vogelwarte Sempach. «Nicht nur das Bauen ist ein Problem für die Natur, auch Wiesen werden immer intensiver bewirtschaftet. Büsche und Bäume verschwinden, und es gibt immer weniger Insekten – die Nahrungsgrundlage für fast alle Vögel». Noch schlimmer ist die Situation um den Siedlungsraum herum, sagt Bachmann. «Im Agrarland haben die insektenfressenden Vögel innert weniger als 30 Jahren um etwa 60 Prozent abgenommen.» Auch die Zielarten in der Landwirtschaft haben stark abgenommen; das sind jene Arten, die mit der Agrarpolitik gezielt gefördert werden sollten. «Praktisch ausgestorben sind im Kulturland des Mittellandes die Bodenbrüter wie Feldlerche, Kiebitz, Braunkehlchen, Schafstelze und Wachtel», erklärt der BirdLife-Vertreter. Immerhin gehe es Rabenkrähen, Greifvögeln, Graureihern besser und den Waldvögeln vergleichsweise gut.

Fazit: «Politik ist gefordert»

Es ist wie so oft im Leben: selten macht jemand etwas Illegales. Das lässt den Schluss zu, dass sich die Gesetze ändern müssen, oder wenigstens das langfristige Denken der Entscheidungsträger. BirdLife versucht es mit der Doppelinitiative Biodiversität und Landschaft und sammelt bis Ende Mai 2020 Unterschriften. Aber auch der NVMB fordert ein Umdenken: «Wir haben in Menziken eine Naturschutzkommission, wir haben Werkzeuge wie die Raumplaung, Regionalverband und einen aktiven Natur- und Vogelschutzverein, die stärker gefordert sind.» Die Natur müsse ernst genommen und angehört werden, sagt Barbara Eichenberger. Das Ganze sei aber nicht nur eine Gesetzes-, sondern auch eine Gewissensfrage. Sich aufregen, wie die Weltmeere verschmutzt werden sei das eine, sich im kleinen Rahmen für die unmittelbare Umwelt einzusetzen das andere.

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