Letzter Abguss nach 113 Jahren

Fr, 28. Okt. 2016
Letzter Abguss in der AMG Gontenschwil: die wenigen verbliebenen und ehemalige Mitarbeiter beim denkwürdigen Vorgang, der von Firmenchef Georg Vaas kommentiert wurde.

In der AMG Gontenschwil wurde das letzte Mal gegossen. Nach 113 Jahren geht die erste Aluminium Giesserei der Welt damit endgültig in den Ruhestand. Wirtschaftliche Gründe führten zur Schliessung. Diese erfolgt nicht abrupt; die inzwischen noch zehnköpfige Belegschaft wird in den nächsten Wochen noch Abschlussarbeiten erledigen.

 

Beinahe feierlich war es, als am vergangenen Freitag in derAMGGontenschwil das letzte Stück gegossen wurde: Eine drei Meter grosse, zweieinhalb Tonnen schwere Pressplatte, die für einen Generator verwendet wird. Wie von immer, seit Georg Vaas in Gontenschwil Firmenchef ist, wurde der Anlass würdig mit Musik umrahmt: Hans Galliker intonierte zum denkwürdigen Moment das Stück «Silentium» mit seiner Trompete. Ein letztes Mal wurden die Kessel mit dem 750 Grad heissen Aluminium mit dem Kran angehoben, vorsichtig gekippt und das Metall floss leise in die Sandform.

Der Akt für die Geschichtsbücher erfolgte anderthalb Jahre später als vorgesehen. Nachdem der Entscheid zur Schliessung gefallen war, wurden noch Aufträge abgearbeitet. Nach Absprachen mit den Kunden wurde auch einiges vorproduziert, das erst in den nächsten Monaten ausgeliefert wird. Inzwischen umfasst die Belegschaft noch zehn Mitarbeiter. Diese wird nun weiter reduziert. Aktuell wurden zwar noch keine «blauen Briefe» verschickt, das wird aber demnächst geschehen. Ein «Rumpf-Bürobetrieb» wird noch so lange aufrechterhalten, bis alle Teile, die an Lager sind, ausgeliefert sind.Die in Gontenschwil eingelagerten, vorproduzierten Teile haben einen Wert von anderthalb Millionen Franken.

Vision AMG geht weiter

«Ich habe ja ein Herz und natürlich empfinde ich heute Wehmut», sagte GeorgVaas, der eigens zum letztenAbguss von seinem Wohnort in Deutschland angereist ist, «aber das hier ist Business», so die prägnante Erklärung, weshalb die «VisionAMG»jetzt in Rumänien weiterlebt, wie er sich ausdrückte. Entsprechend sind die Zahlen nach wie vor schwarz: «Wir werden auch in diesem Jahr hier wieder einen Gewinn erzielen» sagte er zu seinen versammelten Mitarbeitern. «Das ist gut so, sonst nehmen andere die Geschicke in die Hand». Dann deutete er Richtung Hallendecke auf die Lampen und fügte an: «Ich bin stolz, dass das Licht noch brennt, keiner kann sagen wir haben hier das Licht ausgemacht.» Immer wieder würden ehemalige Mitarbeiter die Firma besuchen, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickelt haben. «Ich glaube, das zeigt, dass die Schliessung in Anstand erfolgte», so Vaas. Er bedankte sich bei allen für die erfolgreiche Zeit, für das Engagement bei vielen Weltneuheiten, das Vertrauen, die Freundschaft und die Unterstützung in Not.

Blick zurück

Bereits zur Jahrtausendwende stand es im die AMG, die damals noch Alu Menziken GussAG hiess, schlecht. Als Georg Vaas die «Wiege der Alu Menziken » von der Familie Gautschi übernahm, lautete die Umsatzerwartung für das Jahr 2000 auf 54 Millionen Franken. Dem realistischen Rotstift von Vaas fielen 30 Millionen davon zum Opfer. Ende Jahr zeigte sich, dass seine Prognose praktisch eine Punktlandung war. Mit solchem Realitätssinn, grossem Know-how und guten Kontakten schrieb die AMG ab dann nochmals eine Erfolgsgeschichte. Nicht nur die imposanten Pressplatten, auch Drehlager für Computertomographen und vor allem Traversen für ICE-Züge waren bald das Markenzeichen des Gontenschwiler Traditionsunternehmens. Die erwähnten Traversen wurden bis nach China geliefert. 220 Mitarbeiter fanden zu dieser Zeit ihr Auskommen in der AMG Gontenschwil. Kumuliert mit jenen an den zwei andern AMG-Standorten Turgi und Muotathal waren es in diesen Spitzenzeiten 280 Mitarbeiter.

Neue Nutzung wohl im Bereich Freizeit Dann wurde der Konkurrenzkampf härter und wenige Wochen, nachdem die Schweizer Nationalbank am 15. Januar 2015 den Mindestkurs von 1,20 Franken für einen Euro aufhob, informierte Georg Vaas über die Schliessung desWerks in Gontenschwil. Diese sollte allerdings nicht abrupt, sondern sukzessive erfolgen. Ein zweites Werk in Rumänien stand damals schon in Betrieb, welches von Georg Vaas’ Tochter Sara geführt wird. Diese hat ihren Vater übrigens kürzlich mit einer Erfolgsmeldung überrascht. Es ist ihr gelungen, ein Gehäuse, das bei der Energieverteilung verwendet wird, in der erforderlichen hohen Qualität drei Meter gross zu giessen, einen halben Meter grösser als bisher. Obwohl Rumänien bestens ausgestattet ist, werden einige Anlagen von Gontenschwil dorthin gebracht. Der grössere Teil wird allerdings verkauft. Diesbezüglich wird man erst jetzt aktiv werden: «Ich wollte nicht, dass Maschinen abgebaut werden, während wir noch am Arbeiten sind. Das hätte dem Betriebsklima geschadet», so Vaas.

Die Zukunft der Produktionsstätte noch offen

In einer Halle befindet sich bekanntlich seit einiger Zeit ein Fitnesscenter. Man ist mit weitere Interessenten im Gespräch. «Mir war bewusst, dass die Industrie in der Schweiz rückläufig ist, dass die Anfragen aber eher aus dem Freizeitbereich als vom Gewerbe kommen, hat mich erstaunt, das hätte ich so nicht erwartet», sagte Vaas. Einiges wurde in den Jahren des Erfolges auch in die Instandhaltung investiert. Die ehemals dunklen, alten Hallen präsentieren sich heute freundlich, hell und herausgeputzt.

Das Tagesgeschäft von Geschäftsführer Pius Hausherr wird sich nun erst recht vom Gussfachmann hin zum Immobilienmakler verlagern. Eine spannende Herausforderung. Hausherr gehört inzwischen auch dem Verwaltungsrat der AMG an. Vaas seinerseits wird im November in den Ruhestand treten, aber mit Unternehmen weiterhin in der Funktion als VR-Präsident verbunden bleiben. «Ich habe in Deutschland Antrag gestellt und wurde darüber informiert, dass ich 1356 Euro Rente erhalte. Ich bin also dazu gezwungen, Radieschen zu pflanzen, weil es sonst nicht zum Leben reicht», bringt er seine Zukunft schmunzelnd auf den Punkt.

Die letzte Pressplatte bleibe – wie immer – über Nacht in der Form liegen. Nach 20 Stunden ist sie formstabil und kann ausgepackt werden. Nach wie vor ist sie aber heiss: «Man könnte darauf noch gute Spiegeleier braten», erklärt Vaas. Dann bittet er Belegschaft und Gäste zum Imbiss und der Tag schreitet in Richtung Feierabend voran und die Giesserei ihrem Ende zu.

Diesen Bericht finden Sie in der WB-Ausgabe Nr. 84, vom Freitag, 28. Oktober 2016. Abonnieren Sie das Wynentaler-Blatt noch heute - Sie verpassen nie wieder das wirklich Wissenswerte aus IHRER Region.

 

 

 

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