Vor zwei Wochen kam es im Einzugsgebiet des Wynentaler Blattes zu einem Ereignis, welches zwar schon oft irgendwo in der Schweiz, quasi weit weit weg stattgefunden hat und so den Alltag im beschaulichen Wynental nicht sonderlich beeinflusste. Doch dies änderte sich mit der Mitteilung, dass in Unterkulm ein Schaf von einem Wolf gerissen wurde. Fernsehen und Printmedien berichteten ausgiebig darüber. Hat dieser Wolfsriss die Wahrnehmung in der Bevölkerung verändert? Jagdaufseher und Vereinspräsident des Jagdvereins Unterkulm, Hansruedi Berner, gibt Auskunft.
awe. Das Jagdrevier Unterkulm mit einer jagdbaren Revierfläche von rund 667 ha ist an den Jagdverein Unterkulm verpachtet. Wie in anderen Revierjagdkantonen der Schweiz wird jeweils der Jagdaufseher aufgeboten, wenn Wild bei Unfällen verletzt oder getötet, aber auch wenn gerissenes, verletztes oder sonst totes Wild gefunden wird.
Hansruedi Berner, wie läuft es in der Regel ab, wenn ein Kadaver aufgefunden wird?
Hansruedi Berner: «Wir bekommen einen Telefonanruf des Finders oder von der Polizei. Dann gehe ich oder mein Stellvertreter zum Fundort. Dort wird dann entschieden, ob weitere Abklärungen zu tätigen sind. Aufgrund der Rissspuren wurde beim erwähnten Schafkadaver die Jagdverwaltung eingeschaltet, wo ausgewiesene Wolf- und Luchsspezialisten (Forensiker) für weitere Untersuchungen zuständig waren.»
Forensiker wie in einem Krimi?
«Ja, kann man so sagen.Alles mit genügend Abstand betrachten und möglichst nichts berühren.»
Sie haben Wolf- und Luchsspezialisten erwähnt. Wurden in der Nähe auch schon Luchse gesichtet?
«Nein, aber wenn man die Tiere nicht sieht, heisst es noch lange nicht, dass sie nicht da sind. Bei der Herbstjagd 2022 konnte ich beispielsweise vier Hirsche beobachten! Als Jäger werde ich des Öftern auf unseren Wildbestand angesprochen und ob es in unseren Wäldern überhaupt Rehe habe, nur weil man noch nie einem Reh im Wald begegnet ist.»
Und Marderhunde, Goldschakale, Wildschweine…?
«Schwarzwild ist momentan kein Thema bei uns im Tal. Wenn die Wildschweine aber zum Thema werden sollten, kommen wirklich Probleme auf uns zu! Der Goldschakal und der Marderhund sind gebietsfremde Arten, die in der Schweiz vermehrt auftauchen. Sichtungen dieser Tiere sind aber äusserst selten und im Wynental meines Wissens noch nicht vorgekommen.»
Sind die Wildbestände wegen Wolf und Luchs gefährdet?
«Mit dem Wolf verhält es sich gleich wie bei einem Luchs: Wenn er im Wald ein Tier erwischt, merkt man dies nicht zwingend. Erst wenn Nutztiere in Siedlungsgebieten betroffen sind, richtet sich der Fokus auf den Verursacher.»
Haben Sie schon Anfragen aus der Bevölkerung bezüglich Verhalten bei einer Direktbegegnung mit einem Wolf bekommen?
«Nein.Aber ich habe mit beunruhigten Bauern gesprochen, die von ungewöhnlichem Verhalten ihrer Nutztiere berichteten. Heute werden vielerorts Monitorings bei Mutterkühen eingesetzt. Die Sensoren, die an Halsband, Ohr oder Fuss angebracht sind, messen unterschiedliche Daten, beispielsweise die Wiederkautätigkeit, die Liegezeiten, die Fresszeiten und körperliche Aktivitäten. Die auffallenden Daten der Nachtaktivitäten aus letzter Zeit sind im Nachhinein möglicherweise Begegnungen mit dem Wolf zuzuschreiben.
Und dann gab es noch die Mitteilung einer Frau aus Teufenthal. Sie schrieb, dass sie am vergangenen Sonntag und im letzten Spätsommer einen Wolf im Unterkulmer Wald gesehen habe. Wir gehen diesem Hinweis nach. Ein Wolf beansprucht rund 50 Quadratkilometer für sein Revier. Heute kann er also hier sein, morgen dort.»
Angenommen, ich bin im Wald unterwegs und mache eine Beobachtung. Meist weiss man dann nicht zwingend, auf welchem Gemeindegebiet man sich befindet. Was mache ich?
«Es gibt eine kostenlose App «AG Jagdaufsicht» für das Smartphone, welche den Standort des Benutzers ermittelt und direkt die Telefonnummer des zuständigen Jagdaufsehers anzeigt. Sehr zu empfehlen – auch bei Wildunfällen. Wer ein Reh oder ein anderes Tier anfährt, muss dies umgehend melden, entweder der Kantonspolizei oder dem zuständigen Jagdaufseher.»
Wie wird man eigentlich Jagdaufseher?
«Man muss Jäger sein, also eine zweijährige Jagdausbildung absolvieren und eine Prüfung ablegen. Danach gibt es Zusatzausbildungen und jährliche Weiterbildungen zum Jagdaufseher. Jagdaufseher bin ich seit 2008.
Moralische Kategorien wie ‹gut oder böse› wurden von Menschen erstellt und können nicht für Tiere angewendet werden, denn diese folgen lediglich ihrem Instinkt und dem Prinzip «Überleben» Sehen Sie das auch so?
«Auf jeden Fall!»
Darf ich Sie noch um ein Schluss-Statement bitten?
«Das Erscheinen des Wolfes in unserer Region soll keine Angst in der Bevölkerung auslösen. Trotzdem ist es verständlich, wenn nach Aussagen des betroffenen Landwirtes seine Kinder nicht mehr alleine die Schafe füttern, und schon gar nicht mehr Schlitteln gehen wollen in dieser Region. Liebe Leserinnen und Leser: Gehen Sie mit offenen Augen durch die Natur, dann werden auch Sie in den Genuss des Anblickes unserer Waldtiere kommen. Bitte halten Sie ihre Hunde im Wald auch ausserhalb der Leinenpflicht an der Leine. Die Leinenpflicht gilt im Übrigen jeweils vom 1. April bis 31. Juli. Geniessen Sie den Aufenthalt in unseren wunderschönen Wäldern. Über ungewöhnliche oder ausserordentlich schöne Beobachtungen dürfen Sie uns gerne informieren.»
Viel Wissenswertes findet man unter anderem auf folgenden Internetseiten: www. jagdschweiz.ch − www.uvek.admin.ch und www.jagdaufseher.ch. Ebenfalls empfehlenswert ist die App «AG Jagdaufsicht».
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