Rechenspiele
Eine Arbeitskollegin, nennen wir sie Milly, hat mir heute erzählt, wie sie online eine Rahmentrommel (eine Art Tambourin ohne Schellen) bestellt habe. Leider gibt es in der Region ja kein einziges Musikgeschäft mehr. Die Trommel wurde gestern geliefert, in einem riesigen Paket – da wurde ihr etwas mulmig zumute. Sie war nämlich der Meinung, das Instrument mit einem Durchmesser von 22 cm bestellt zu haben.
Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich – die Trommel war viel zu gross – und bei der Kontrolle fand sie auch den Grund heraus. Die vermeintlichen 22 cm erwiesen sich als 22 Zoll, also zirka 2,5 mal grösser.
Milly kontaktierte den Kundendienst − dabei merkte sie, dass der Hauptsitz der Firma in Deutschland ist, obwohl sie beim Schweizershop bestellt hatte − und schilderte ihr Problem, nahm die Schuld auf sich und fragte, ob sie die Trommel zurückschicken und gegen eine kleinere tauschen könnte.
Ohne grosses Wenn und Aber meinte der zuständige Herr am Telefon: «Nein, Sie bestellen einfach eine neue, das kostet Sie nichts» und der Betrag von rund 70 Franken für die grosse Trommel werde ihr komplett gutgeschrieben. Die ganzen Formalitäten wie Zoll, Rücknahme, Verpackung würden sich für so wenig Geld nicht lohnen.
Ich habe ja ein gewisses Verständnis dafür, dass dem Versandhändler ein enormer Aufwand erwächst, wenn er Retouren registrieren, mit der Bestellung abgleichen, die Ware auf Vollständigkeit, Funktionstüchtigkeit und Sauberkeit kontrollieren und wieder versandfertig aufbereiten muss. Dazu der buchhalterische Aufwand für die Rückerstattung und je nachdem die Portokosten. Aber dass er so ganz ohne Nachfrage auf die Ware verzichtet und sie quasi zum Nulltarif verschenkt, nur um Milly als Kundin nicht zu verärgern und zu verlieren? Wie gross muss da wohl der Konkurrenzdruck von grossen Playern wie Amazon, Temu, Shein oder AliExpress sein, wenn man Ware im Wert von 70 Franken auf Null abschreiben kann, ohne dass es schmerzt? Oder andersherum gefragt: Wie teuer ist ein Artikel, der für 70 Franken angeboten wird, im Einkauf? Und wo liegen die Grenzen, bei 80, 100 oder vielleicht sogar 200 Franken?
Ich bin kein Buchhalter und meine Kenntnisse in Betriebswirtschaft halten sich in Grenzen. Aber eines kann ich mit Sichheit sagen. Für mich geht diese Rechnung nicht auf. Und ich wage zu behaupten: Für viele dieser Anbieter wohl früher oder später auch nicht mehr. Oder sind es am Ende erst die natürlichen Ressourcen, die dem «Zauber» ein Ende bereiten?
Roland Marti
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