Meine Musik sucht einen neuen Weg zum Publikum

Fr, 17. Mai. 2019
Gitarrist Lars Rüetschi: Der einstige Vollblut-Livemusiker ist dabei, mit seinem Studiotitel «Sweet Onion» die Jazz-Charts in den USA zu erobern. (Bild: mars.)

Der in Gontenschwil wohnhafte Musiker und Produzent Lars Taylor ist von Haus aus Sessionmusiker und spielte in diversen internationalen Projekten, auf der Bühne wie im Studio. Nun ist er dabei, mit seinem eigenen Titel «Sweet Onion» in den USA die Jazz-Charts zu erobern. Der Titel wurde in L.A. vom renommierten Jazz-Produzenten Paul Brown abgemischt, das sanfte Instrumentalstück könnte aber auch als «Popsong» durchgehen. Mit dem Ganzen verbindet sich eine eindrückliche Geschichte.

mars. Hits und Charts gibt es viele und jede Woche sind neue Interpreten mit ihren Titeln am Start, um die Welt zu erobern. «Sweet Onion» ist dennoch eine kleine Sensation, das Stück wird inzwischen von zig Radiostationen nicht nur in den USA, sondern auch in Grossbritannien, Argentinien, Deutschland, Frankreich oder Polen im Netz und über den Äther gespielt und schnuppert an einem Top-20-Platz. Wie verschlägt es nun den Jazzmusiker Lars Taylor, dessen Musik von den USA aus die Lautsprecher erobert, hierzulande aber unbekannt ist, ausgerechnet nach Gontenschwil?

Nun: Lars Taylor heisst eigentlich Lars Rüetschi und verbrachte seine ersten vier Lebensjahre in Meisterschwanden. Dann wanderte er mit seinen Eltern Helmuth und Margrit 1980 nach Rio de Janeiro aus, wo sein Vater an einer Schweizer Schule unterrichtete. 1983 kehrt die Familie in die Schweiz zurück. Im Kinderzimmer stand ein Klavier, worauf Lars gerne und viel klimperte und bald auch Unterricht nahm. Sieben Jahre später, als Teenager, wechselte er zur Gitarre. Im Zuge all der bekannten Rockbands hatten Gitarristen ungefähr den Status, den heute «Influencer» oder «Youtuberinnen» geniessen.

Mit 15 Jahren kaufte Lars einen Vierspur-Recorder, nahm seine eigenen Kompositionen auf und arrangierte sie. Mit 17 Jahren hatte er seinen ersten professionellen Studiojob als Session-Player für eine Single-Produktion. Von 1998 bis 2002 studierte er Jazzgitarre an der Musikakademie der Stadt Basel, wo ihm – noch als Student – an der Jazzschule Basel eine Stelle als Lehrer angeboten wurde.

Live auf der Bühne

2005 wurde es dem 28-Jährigen in Basel und in der Schweiz zu eng und er zog nach Berlin. Dort tourte er zwei Jahre durch Berliner Clubs mit dem nigerianischen Sänger Leon Adonri und seiner Band The Peacekeeper & The Purple Egg, damals eine der progressivsten und bekanntesten Bands Berlins, die eine Symbiose von Reggae, Funk und Rock spielte. «Wir waren wie eine Familie, hingen auch privat zusammen ab», blickt er zurück. Bald hatte er sich in der Szene als Session-Gitarrist einen Namen gemacht und steuerte so in diversen Produktionen und Künstlern seine Parts bei. Zwei Wochen vor dem Auftritt der Band «Thalaya» auf der Berliner Waldbühne, vor dem Viertelsfinalspiel Deutschland – Argentinien an der Fussballweltmeisterschaft 2006 stieg deren Gitarrist aus. Rüetschi übernahm seine Rolle und stand so im Epizentrum des denkwürdigen Ereignisses. Auch für viele andere Künstler spielte er und war für zahlreiche Projekte engagiert. Als er eben – auch dank eines Stipendiums – auf dem Sprung in die USA war, ereignete sich 09/11. «Ich wollte alles sauber mit einem Visum regeln und bekam dieses im Zuge der scharfen Terror-Restriktionen aber damals nicht. Ich hätte vielleicht einfach aufs Gratwohl nach New York gehen sollen», sinniert er. Der geplante Aufenthalt in der USA lässt auf jeden Fall bis heute auf sich warten, denn es kam anders – ganz anders.

Harte Zeiten

Die intensive Berliner Zeit führte 2012 zu einem üblen Burnout und zur «notfallmässigen» Rückkehr in die Schweiz. Das harte Business als Musiker, das gleichzeitig eine hohe Sensibilität beim Spielen verlangte, brachte ihn über seine persönlichen Grenzen hinaus. Noch heute, sieben Jahre später, kämpft er mit dessen Auswirkungen. Er leidet an Panikattacken oder die Finger tun nicht, was sie sollen. Zwei Jahre lang nahm er keine Gitarre mehr in die Hand. «Ich habe damals Raubbau an meinem Körper betrieben», ist er sich heute bewusst. Auftritte auf der Bühne sind nicht mehr möglich.

«Sweet Onion»

«Trotzdem – Musik ist mein Leben», sagt er. Und so durchforstete er seine eigenen Kompositionen, die sich in all den Jahren ebenfalls angehäuft haben und in Fülle auf seinen Harddisks lagern. Ein Dutzend davon hat er schliesslich an den ihm bekannten Produzenten Paul Brown in L. A. geschickt. Dieser, ein Grammy Gewinner, hat beispielsweise für Al Jarreau oder Luther Vandross gearbeitet und hat laut Rüetschi für dieses Genre die «goldene Nase». Brown erkannte das Hitpotential eines Stücks, welches den Arbeitstitel «Sweet Onion» trug. Nach etwas Feinarbeit am Mischpult und dem Neueinspielen der Schlagzeugparts war es radiotauglich. Das sanfte, melodiöse Instrumentalstück, das in den Jazz-Charts gespielt wird, könnte auch der Sparte Pop zugeordnet werden. Es weht auch eine Prise «Südamerika» durch die Melodie, das hat Rüetschi nicht angestrebt, er bestreitet es aber auch nicht. Vielleicht eine Anleihe aus seiner frühen Kindheit, die von Samba und Bossa Nova begleitet war. Brown hatte zwei Wünsche, er war überzeugt, der Name «Rüetschi» würde eine unnötig hohe Hürde bei der Promotion bilden und empfahl ihm den Künstlernamen «Taylor», weiter wünschte er sich einen romantischeren Namen für das Stück. Hier wollte sich aber die zündende Idee nicht einstellen, so gab man die Suche auf und es blieb bei der «süssen Zwiebel». Das passt aus Rüetschis Sicht doch ganz gut. Ein Stück mit vielen Elementen (Schalen), das man vielleicht scharf erwartet, das dann aber eher süss anmutet. Tatsächlich liess sich Rüetschi jedoch nicht von einem Blick in den Gemüsekorb inspirieren, sondern von einem Sandwich mit einer Sweet-Onion-Sauce, welches er in der Auslage des Verpflegers «Subway» in Bukarest gesehen hatte. Seine Frau stammt aus Rumänien.

Vom Oberdorf ins Unterdorf

In Gontenschwil gefällt es Rüetschi richtig gut. Früher wollte ich in die Stadt. Dorthin, wo etwas los ist, da hat mich wohl auch die Kindergartenzeit in der 6 Millionenstadt Rio de Janeiro mitgeprägt. Inzwischen ist das anders. Seit 2009 wohnt er im Dorf. «Als wir nach einer neuen Wohnung Ausschau hielten, war klar, dass wir innerhalb des Dorfes suchen werden. Hier ist es fast wie in einem Sanatorium», bringt er es für sich auf den Punkt. «Wir fühlen uns sehr wohl hier». So ist er vor einiger Zeit vom Ober- ins Unterdorf umgezogen, wo er mit seiner Frau Gabriela und seinem bald dreijährigen Sohn Joshua nun lebt. Das beschauliche Familienleben betrachtet er als wichtigen, sogar überlebenswichtigen Ausgleich. Deshalb freut er sich darüber, dass «Sweet Onion» heute auf rund 130 Radiostationen läuft und er auf diese Weise mehr Leute mit seiner Musik glücklich machen kann, als er das auf der Bühne je konnte. «Ich müsste drei Jahre lang täglich vor 1000 Leuten spielen, um dieselbe Zuhörerzahl zu erreichen wie in den letzten zwei Monaten», hat er ausgerechnet. «Natürlich fehlt so das Feedback des Publikums», fügt er an. «Ich war Live-Musiker und habe für die Bühne gelebt. Es freut mich aber zu sehen, wie sich meine Musik so einen neuen Weg zum Publikum sucht, weil der bisherige nicht mehr möglich ist.»

«Sweet Onion» findet sich auf iTunes oder Spotify, Lars Taylor auch auf Facebook.

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