«Ein Bild ist erst gut, wenn es zum Denken anregt»

Do, 11. Feb. 2021
Das international erfolgreiche Fotografenpaar Mathias Braschler und Monika Fischer mit Sohn Elias. (Bilder: Braschler/Fischer)

Das renommierte Fotografenund Ehepaar Mathias Braschler und Monika Fischer hat mit seinen weltweiten Porträtprojekten von Menschen den «World Press Photo Award» und weitere Auszeichnungen gewonnen. Die ausdrucksstarken Bildreportagen erscheinen in angesehenen internationalen Magazinen und werden in Museen in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten gezeigt.

von René Fuchs

Das fünfjährige Mädchen eines chinesischen Wanderzirkus steht selbstbewusst mitten auf einem kleinen Tisch. Die Arme angewinkelt, das Gesicht fokussiert, sein rotes Kostüm ohne Glanz, das goldgelbe Tischtuch edel wirkend und in welch einem Licht vor der matten Bergkulisse im Hintergrund! – Das Fussballspiel ist eben vorbei: Gerald Asamoah’s Augen sind leer,  der Mund vor Erschöpfung offen, Schweiss perlt über das dunkelhäutige Gesicht. – Der amerikanische Stahlarbeiter in Ohio: fixierend sein fragender Blick, wild sein volles Haar, ausdrucksstark und demütig sein ganzes Wesen. – Fotos voller Würde, die beim Betrachten berühren und zum Nachdenken anregen. Magische Momente, die von den vielfach ausgezeichneten Porträtfotografen Braschler/Fischer festgehalten wurden. So, als wären sie beim Betrachten noch einmal erlebbar.

In Beinwil am See aufgewachsen

Mathias Braschler (50) ist in Beinwil am See aufgewachsen. Als Jugendlicher wollte er Biochemiker, Pilot oder gar Skirennfahrer werden. Doch ein Ferienjob während der Kantonsschulzeit im Fotogeschäft von Hans Burger in Reinach war entscheidend. «Mein Berufsziel war gesteckt: Ich wollte als internationaler Fotograf arbeiten», sagt Braschler noch heute mit einem Leuchten in den Augen. Nach der Matura und der Rekrutenschule zog es ihn in die Ferne. Nach einem Zwischenjahr in Irland studierte er zwei Jahre lang an der Universität in Zürich Geografie und moderne Geschichte. Dass er in dieser Zeit für die universitäre Presse fotografisch tätig war, versteht sich von selbst. 1994 brach er das Studium ab und begann autodidaktisch als selbstständiger Fotograf tätig zu sein. «Stark beeinflusst war ich von der Agentur Magnum und den Fotografen Robert Capa und Alberto Venzago. Ich wusste, wie schwierig und anspruchsvoll der Weg zum Erfolg werden wird, sinniert Mathias Braschler rückblickend. Um auf den Radar von renommierten Bildredaktoren zu gelangen, musste er zu den Portfolios eine spannende Geschichte vorschlagen können. Die erste erschien in der NZZ am Wochenende über die Bahnlinie Glovelier-Saignelé- gier in den Freibergen. «Als internationaler Fotograf braucht es einen unglaublichen Durchhaltewillen, viel Disziplin, Talent, Neugierde, Interesse, Anpassungsfähigkeit und den Zugang zu den Menschen», fasst der Seetaler die nötigen Voraussetzungen zusammen. Und was, hätte er nicht in der ersten Studienwoche 1992 an der Zürcher Uni in einer Geografievorlesung seine zukünftige Frau getroffen? Monika Fischer (49) ist mit einer humanistischen Bildung im St. Galler Rheintal aufgewachsen. Sie interessierte sich für das Erlernen von Sprachen, für internationale Organisationen und Archäologie. An der Uni Zürich begann sie Germanistik und Romanistik in den Hauptfächern und Geografie im Nebenfach zu studieren. «Ein Nebenfach, das aber emotional bereits in der zweiten Woche zum Hauptfach wurde», schmunzelt die Rheintalerin, die damals nebenbei auch als Regieassistentin und Dramaturgin am Opernhaus Zürich arbeitete. 2005 schloss sie an der Zürcher Hochschule der Künste mit einem Executive Master in Szenografie ab.

Als Team unterwegs

«Ich konnte inzwischen als Fotograf gut leben. Zeitweise wohnte und arbeitete ich in New York und pendelte nach Europa. Aber der wirkliche internationale Durchbruch gelang erst, als wir beide begannen, als Team zu arbeiten», fasst Mathias Braschler den entscheidenden Schritt im Jahr 2003 zusammen. Monika Fischers Erfahrungen in der Beleuchtung und «Mise-en-scène» sind im visuellen Stil des Fotografenpaars unverkennbar. Gegenseitige Inputs und ausgiebige Diskussionen führen nach monatelangen Recherchen und Reiseplanungen zum erhofften Ziel. Zu Geschichten mit Tiefgang, die von Menschen berichten, die oft zum ersten Mal vor einer Kamera stehen. So reiste das Paar vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 während sieben Monaten mehr als 30’000 Kilometer durchs Reich der Mitte. Auf dem Weg durch fast alle Provinzen, ausser dem abgeschirmten Tibet, porträtierten sie 172 Menschen aller Ethnien, Klassen und Altersgruppen. Ihre Serie zeigt die Gewinner als auch die Verlierer des im Wandel begriffenen Riesenreiches auf: Der Bauer mit seinen Wasserbüffeln in der Nähe eines Weltraumzentrums, der korrupte Besitzer eines Yachtklubs und eben, das kleine Mädchen des Wanderzirkus.

Menschen rund um den Globus

«Im Jahr 2009 porträtierten wir Menschen rund um den Globus, denen klimabedingt durch Dürre, Stürme und tauende Böden die Lebensgrundlagen geraubt wurden», erinnert sich Monika Fischer an ihr aufwändiges Projekt: «Das menschliche Gesicht des Klimawandels». Der Kuhhirt Gouro Modi in Mali, dessen Vieh verendet, weil kein Gras mehr wächst und das Wasser versiegt. Der indische Bauer Rinchen Wangail im Ladakh, der wegen dem verschwundenen Gletscher im Sommer seine Felder nicht mehr bewässern kann. «Daten sammeln, Theorien entwickeln – das ist wichtig bei der Erforschung des Klimawandels, aber das überlassen wir den Wissenschaftlern. Uns als Porträtfotografen geht es um die Menschen, die eng und mit der Natur leben», doppelt Mathias Braschler nach.

Nicht weniger beeindruckend war die Feldforschungsreise 2019, anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen in den USA. Ein Roadtrip mit einem Van, der zu einem Wohnmobil inklusive Pop-up-Fotostudio umgebaut worden war. Auf den 15’000 Meilen durch 40 Staaten trafen sie Amerikaner mit den unterschiedlichsten Lebenserfahrungen und politischen Gesinnungen. «Divided We Stand» – ist ein Porträt von 82 USA-Bürgern, die ihre Ideologien in einem gespaltenen Land äussern.

Die nachhaltigsten Bilder entstehen oft unvorbereitet

Meisterhaft gelingt es dem Fotografenpaar Menschen so ins Licht und vor die Kamera zu bringen, dass es keinen Unterschied in der Würde zwischen Stars und Sternchen und den Menschen in bescheidenen Lebensumständen gibt. Wohl bleiben die organisierten Begegnungen mit den Fussballstars Zinédane Zidane, Cristiano Ronaldo, David Beckham, dem Tennisstar Roger Federer oder dem ehemaligen Bürgermeister Michael Bloomberg in New York unvergessen, doch die nachhaltigsten Bilder entstehen oft unvorbereitet. Etwa dann, wenn man tagelang unterwegs ist, mitten in einem strudelnden Fluss steht und einen Fischer fotografieren darf.

An Projektplänen mangelt es nicht

Ausstellungen in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten mit Buchvernissagen in bekannten Museen, Veröffentlichungen in auflagestarken Magazinen und Auszeichnungen wie 2019 der «European Publishing Award», sind die Motivation, die es braucht, um sich an solch herausfordernde und entbehrungsreiche Projekte zu wagen. Wahrlich, ein Familienabenteuer folgt dem andern und seit der Geburt des Sohnes Elias 2012 zu dritt. Der Zweitklässler besucht die Schule im Wohnort Wildegg und auf Reisen ist Homeschooling angesagt. «Eine unserer Stärken ist das Vorausplanen, um rechtzeitig vor einem Jahresereignis, wie etwa der Olympiade in Tokio, Fotos, die Geschichten erzählen, bereitzuhaben», erklärt Mathias Braschler. Doch seit einem Jahr sind pandemiebedingt ausgedehnte Reisen nicht mehr möglich. Selbst die laufende Ausstellung «Divided We Stand – Braschler/ Fischer» im Lechner Museum in Ingolstadt vom 22. November 2020 bis 7. März 2021 war noch keinen Tag offen. «Es ist unangenehm, aber es gibt viel mehr Menschen, die ganz anders von der Krise betroffen sind. Uns geht es immer noch gut», fasst das Paar die momentan unsichere Lage zusammen. Wohl haben sie ihren zweiten Wohnsitz in New York aufgegeben, doch an Projektplänen mangelt es zum Glück nicht…

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