Lehrplan 21 - Ja oder Nein?

Mi, 25. Jan. 2017
Symbolbild

Am 12. Februar 2017 kommt «Ja zu einer guten Bildung – Nein zu Lehrplan 21» an die Urne. Momentan liefern sich Initianten und Gegner einen erbitterten Schlagabtausch. Der Stimmbürger kann anscheinend nur zwischen zwei Übeln wählen. Einschätzung von WB-Chefredaktor Martin Sommerhalder.

 

Wie auch die Leserbriefe in der gedruckten Ausgabe des Wynentaler Blattes zeigen, erregt der Lehrplan 21 zurzeit die Gemüter. Weil er nicht von Wissen und Lerninhalten und Zielen spricht, sondern von Kompetenzen und weil unter dem Deckmantel von pädagogischer Wissenschaftlichkeit Gesellschaftspolitik betrieben werde, möchten die Initianten die Notbremse ziehen. Das geschieht mit einer Volksinitiative, welche im Schulgesetz Fächer festschreiben will und verlangt, dass der Regierungsrat Lernziele der Jahrgangsklassen festlegt. Ausserdem sollen interkantonale Vereinbarungen zur Harmonisierung des Lehrplans von Grossen Rat genehmigt werden (Gesetzestext im Kasten unten).

Der Lehrplan 21 als Stellvertreter
In der Abstimmung geht es um diese Gesetzesänderung und nicht um den Lehrplan 21, er dient bloss als schlagkräftiger Stellvertreter. Denn wer sich mit seinen abgehobenen Inhalten befasst, der Auflistung von Kompetenzen, wird tatsächlich gelegentlich den Kopf schütteln und sich fragen, ob das tatsächlich der Pädagogik letzter Schluss ist?

Das ist er nicht, denn wie im Abstimmungskampf zu erfahren ist, bildet er bloss das «Dach» von kantonalen Lehrplänen, die es noch zu erarbeiten gilt und welche die kantonalen Bedürfnisse berücksichtigen. In einer Diskussion auf Tele M1 lud Elisabeth Abbassi, Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (alv) die Gegnerin der Initiative, Elfy Roca vom Initiativ-Komitee ein, ihre Anliegen zu jenem Zeitpunkt einzubringen, wenn dieser Lehrplan für den Kanton Aargau erarbeitet werde, dort seien sie richtig platziert.

Das ist eine interessante Aussage
Denn das müsste im Umkehrschluss eigentlich bedeuten, dass der Lehrplan 21 auch mit festgelegten Fächern und griffigeren Zielen (sprich: bei Annahme der Initiative) seinen Dienst betreffend interkantonaler Harmonisierung tun kann. Apropos festgelegte Fächer: laut einem Rechtsgutachten ist der Gesetzestext der Initianten nicht so starr, wie die Gegner wiederholt ins Feld führen. Der Lehrplan müsste die festgelegten Fächer enthalten, er könnte aber mit weiteren ergänzt werden.

Ob die Initiative ihr Versprechen «Nein zum Lehrplan 21», halten kann, bleibt auf alle Fälle selbst bei ihrer Annahme fraglich. Die Emotionen um den neuen Lehrplan werden sich mit der Antwort auf den Abstimmungszettel auf den schlichten Entscheid reduzieren, ob man im Schulgesetz lieber einen handfesten «Fächerplan» mit Jahreszielen oder die schwammigeren «Bereiche» mit Richtzielen haben möchte? Alle übrigen «heissen Diskussionspunkte» bleiben ausserhalb der Kompetenz der Simmbürger.

Herausfordernder Schulalltag
Abseits der Lehrplan-21-Diskussion stellen all jene, die mit dem Schulalltag konfrontiert sind, fest, dass es hier nicht ausschliesslich tolle Entwicklungen gab. So wurde denn jüngst das «Aargauische Elternkomitee für eine kindgerechte Schule» gegründet, welches sich fragwürdigen Auswüchsen entgegenstellt. «Wochenplan», «Gruppenarbeiten », «Entdeckendes Lernen» oder «Werkstattunterricht» schlagen sich nicht immer nur positiv nieder und sind für die Kinder gelegentlich überfordernd. Wohl jenen Kindern, die zu Hause auf den Support von Eltern oder Grosseltern zählen können (wenn diese denn nicht auch überfordert sind).

All diese Neuheiten gibt es jedoch. Lehrplan 21 hin oder her. DerAusgang der Abstimmung hat darauf keine direkten Auswirkungen. Die entsprechenden Schulbücher sind ausgeteilt und längst werden junge Pädagogen auch danach ausgebildet. Das ist kein Skandal, das ist die Entwicklung der letzten Jahrzehnte und die Entscheidung darüber lag schlicht nicht in der Kompetenz der Stimmbürger. Möglicherweise ist diese Entwicklung auf eine gewisse Harmonisierungseuphorie zurückzuführen, gepaart mit Modepädagogik. Aus Sicht der Initianten ist es höchste Zeit, diese Entwicklungen in der Öffentlichkeit zum Thema zu machen und der Diskussion zu stellen. Weil diese Diskussion an einem Lehrplan fixiert ist, wird sie allerdings leider oft recht schnell fachtechnisch.

Das Rad zurückdrehen?
Sollte man angesichts dieser Neuheiten das Rad zurückdrehen? Selbst wenn das möglich wäre, wäre es vermutlich keine Hilfe. Tatsache ist: die Welt hat sich verändert. All das Neue wurde entwickelt und eingeführt, damit sich junge Menschen in einer modernen Welt und in ihrem zukünftigen Berufsumfeld zurechtfinden können. In einer digitalen Welt bieten sich alle Möglichkeiten, selbstentdeckt zu lernen, sprich: sich Antworten auf Fragen selber zu suchen, es ist auch nicht verkehrt, wenn sich ein «Stift» etwas unter einem Wochenplan vorstellen kann. Dass der Frontalunterricht mit anderen Unterrichtsformen ergänzt wurde, ist ebensowenig falsch, sondern macht den grauen Alltag vielseitiger. Frühenglisch wurde vor noch nicht allzu langer Zeit von vielen gefordert, weil man erkannte, dass man sich in der modernen Welt über Landesgrenzen hinweg verständigen können sollte.

All das und noch ziemlich viel mehr drängte sich so in den vergangenen Jahren in den Schulalltag. Statt einer Konsolidierung kam immer bereits die nächste Reform. Wie bei einem guten Kochrezept ist das Zusammenspiel, die «Dosis» der einzelnen Komponenten entscheidend. Das macht aus, ob das Menü am Ende mundet. Das ideale Rezept ist wohl noch nicht gefunden. Momentan stellt sich – unabhängig vom Lehrplan 21 – allmählich der Eindruck ein, dass die Kost etwas zu üppig ausgefallen ist. Weniger wäre mehr: Weniger Neuheiten, weniger Schulstoff, weniger mit Lernen vollgestopfte Wochenenden, bessere Absprachen der Lehrpersonen.

Das alles wird sich kaum ändern, egal wie die Abstimmung am 21. Februar ausgeht – aber es wird sich ändern müssen. Bis dann hilft in manch einem Fall, wenn man mit der Lehrperson das Gespräch sucht.

 

Darüber wird abgestimmt

Bestehender Gesetzestext, Paragraf 13 des Schulgesetzes:

1. Der Lehrplan enthält die Bereiche Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften (inklusive Ethik und Religionen), Musik, Kunst und Gestaltung, Bewegung und Gesundheit.

2. Der Regierungsrat regelt für Primarschule und Oberstufe die einzelnen Unterrichtsbereiche, die Zahl der Unterrichtslektionen und ihre Dauer, die Lernziele und die Stoffauswahl sowie die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Selbst- und Sozialkompetenzen durch Verordnung. Er beachtet dabei die interkantonale Harmonisierung der Lehrpläne.

3. Er regelt für den Kindergarten die Unterrichtsdauer sowie die Richtziele der Selbst-, Sozial- und Sachkompetenzen durch Verordnung.

Paragraf 13 nach Annahme der Initiative:

1. Der Lehrplan dient der Umsetzung des Bildungsauftrages an die Schulen. Dabei wird vom Anspruch der Jugend auf Bildung, Wissen und Können ausgegangen, im Einklang mit der Kantonsverfassung und der Präambel des Schulgesetzes.

2. Der Lehrplan stützt sich auf den Fächerkanon ab. Der Regierungsrat regelt nach Anhörung des Erziehungsrates die Zahl der Unterrichtslektionen und ihre Dauer sowie die Lernziele der Jahrgangsklassen.

3. Der Regierungsrat erstellt für den Kindergarten einen Rahmenlehrplan als Vorbereitung für die Primarschule. Der Fächerplan für die Primarstufe enthält Sprache (Deutsch), Fremdsprache, Mathematik, Realien, Musik, Ethik und Religion, Bildnerisches Gestalten, Textiles sowie AllgemeinesWerken und Sport.Der Fächerkanon für die Oberstufe enthält die Fächer Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Geographie, Musik, Ethik und Religion, Bildnerisches Gestalten, Textiles sowie Allgemeines Werken, Sport und Hauswirtschaft.

4. Interkantonale Vereinbarungen zur Harmonisierung des Lehrplans müssen vom Grossen Rat genehmigt werden und unterliegen dem fakultativen Referendum.

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Den ganzen Artikel finden Sie in der WB-Ausgabe Nr. 5, vom Freitag, 20. Januar 2017. Abonnieren Sie das Wynentaler-Blatt noch heute - Sie verpassen nie wieder das wirklich Wissenswerte aus IHRER Region.

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