Für meine erste Erfahrung in einem Verein besuche ich die Gruppe Ladys35+ des STV Unterkulm. Zurzeit trainieren sie zusammen mit der Männergruppe für das Eidgenössische Turnfest in Lausanne. Ein Training, welches ich, aber auch meine untrainierten Oberarme, lange in Erinnerung behalten werden!
jaf. Obwohl ich mich auf die Erfahrung freue, wünschte ich mir eigentlich aufgrund meiner Müdigkeit am liebsten einen bequemen Abend auf der Couch. Geprägt von einem Gemisch aus Nervosität, Neugier und Müdigkeit mache ich mich also auf den Weg in die Mehrzweckhalle nach Unterkulm, wo um 20 Uhr das Training beginnt.
In der Halle angekommen, sind bereits einige fokussiert beim Steinstosstraining. Die Leiterin Pamela Wehrli begegnet mir zur Begrüssung mit einem strahlenden Lachen. Sie erklärt, dass dies eine Disziplin am Eidgenössichen Turnfest in Lausanne sein wird, an dem die Gruppe teilnimmt. Nach und nach kommen weitere Männer und Frauen in die Halle und einige fragende Blicke treffen auf mich. Bevor viele mit ausgestreckter Hand auf mich zukommen und wir uns gegenseitig vorstellen. Inzwischen ist es 20 Uhr und das gemeinsame Training beginnt. 21 Turnerinnen und Turner sind anwesend. Ich bin erstaunt, dass auch diejenigen vom Steinstosstraining noch dableiben, und denke mir: «Chapeau, jetzt noch zusätzlich bis um 22 Uhr weiter zu trainieren.»
Erst das Warm up?
Wir beginnen mit dem Aufwärmen und verteilen dafür Matten in der Halle. Pamela erklärt uns, dass wir durch die Halle joggen und immer, wenn wir auf eine Matte treffen, darüber hüpfen oder im schnellen Wechselschritt die Matte überqueren sollen. Alles gut so weit. Nach circa 10 Minuten löst die Trainerin die Einheit auf und ich spüre bereits das erste Mal meinen erhöhten Puls im Hals. «Nun, soll ja so sein, wenn trainiert wird», denke ich mir. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es in kurzen Spieleinheiten für Körper und Koordination weiter. Obwohl ich das erste Mal in der Gruppe bin und sich viele bereits mehrere Jahre kennen, fühle ich mich wider meine Erwartungen nicht als die Neue oder die Fremde von der Zeitung. Im Gegenteil, meine anfängliche Nervosität ist verflogen und ich lasse mich bespassen beim Zuhören, wie sich die Männer gegenseitig auf die Schippe nehmen. Nebenbei werden Erinnerungen wach, wenn ich das Geräusch quietschender Turnschuhe höre und den altbekannten Mattenwagen erblicke, welchen wir in der Schulzeit öfters zweckentfremdeten, um uns in der Turnhalle mit der rollenden «Burg» zu duellieren.
Das Rennen der Giganten
Das nächste Spiel ist ein Mattenschiebrennen. Dabei muss die grosse Matte (2 Meter mal 2,5 Meter) mit dem eigenen Schwung nach vorne geschoben werden. Einige passen diese Einheit und ich wundere mich zunächst warum. Dann bin ich an der Reihe. Ich hole Anlauf und entscheide mich, mit dem Oberkörper nach vorne auf die Matte zu springen. Autsch! Schnell wird mir klar, weshalb einige dieses Rennen auslassen. Habe ich mir doch die Nase auf der Matte geprellt. Doch ich beisse auf meine Zähne und zeige keine Reaktion. Denn der schmerzhafte Sprung brachte die Matte meines Teams bestimmt 20 Zentimeter vorwärts! Wir liefern uns ein knappes Matte-an-Matte-Rennen und feuern uns an. Gewonnen!
Zum Glück muss ich zwischendurch noch Fotos machen und nutze die Gelegenheit, um mir eine Verschnaufpause zu gönnen.
Sport tut eben doch gut
Es folgen die Trainingseinheiten für Lausanne. Dabei können nicht alle gemeinsam trainieren und es bietet sich die Gelegenheit, mit den Mitgliedern des Vereins ins Gespräch zu kommen. Ich frage Pina, welche seit zwei Jahren im Verein ist, ob der Anreiz grösser sei, Spass zu haben oder der Anspruch, möglichst gut zu sein. Sie antwortet mir enthusiastisch: «Wenn ich fokussiert bin beim Spiel, weckt es automatisch den Ehrgeiz. Dann wird es ernster.Wir müssen nicht die Besten sein, aber natürlich wollen wir vorne dabei sein. Unser Ziel ist es, bei den Spielen in der Skala mindestens 8 von 10 zu erreichen. Deshalb zählen wir die Punkte im Training, um zu sehen, wo wir stehen und ob wir uns verbessern.» Sie erzählt mir, welch müde Beine sie heute hatte und beinahe das Training vergessen hätte. Aber jetzt sei sie wieder fit, das Training tue ihr immer gut. Stimmt, denke ich mir. Denn auch ich spüre nach der Halbzeit des Trainings nichts mehr von meiner anfänglichen Müdigkeit.
Koordination und Rhythmus
Pamela Wehrli stellt eine Art Parcours auf. Später erklärt sie mir, dass dieser eine weitere Disziplin des Turnfests in Lausanne sei. Dabei spielen sich fünf Personen im Viereck stehend verschiedene Bälle zu, um Punkte zu sammeln. Die Einheit dauert jeweils zwei Minuten. Die eine Person muss den Ball durch den Reifen werfen und zum nächsten Posten rennen, während die anderen ebenfalls Bälle im Kreuz oder in der Linie zur nächsten Person werfen, um schnell zum nächsten Posten zu gelangen. Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, an welchem Posten mit welchem Ball in welche Richtung geworfen werden muss. Eine Aufgabe, die den Turnerinnen und Turnern Präzision und eine gute Koordination abverlangt. Ob auf dem Spielfeld oder am Rand der Turnhalle, es wird deutlich, welch ungezwungene Stimmung in der Turnhalle herrscht. Zwar wird das Training ernst genommen und Ehrgeiz gezeigt, jedoch ohne jegliche Art von Verbissenheit.
«Es ist wie eine Familie»
Heidi Lüscher erzählt mir, dass sie seit ihrer Jugend in Unterkulm dabei ist. «Wir haben hier Abwechslung, das finde ich gut und es fühlt sich wie eine Familie an. Wir machen auch ausserhalb viel zusammen. Zum Beispiel Brunchen oder zusammen Geburtstag feiern», teilt sie mir glückerfüllt mit. Sie selbst hat sich vor ein paar Wochen verletzt und kann zurzeit nicht mittrainieren. Des Weiteren erfahre ich im Gespräch, dass die Gruppe 35+ erst vor einem Jahr gegründet wurde, weil es für die Frauen um die 35 keine altersgerechte Gruppe gab. «Aber die Zahl ist nur eine grobe Angabe, jede, die sich wohlfühlt, ist hier willkommen.» Dies zeigt auch die sportliche Turnerin Marlies, als sie mir motiviert mitteilt, dass sie von ihrem Alter her in eine andere Gruppe müsste. «Ich brauche noch «Action» und solange ich hier mitmachen kann, bleibe ich in dieser Gruppe.»
Während die ersten sich in Richtung Garderobe bewegen, kündigt die Trainerin Pamela noch ein Volleyballspiel an, welches diejenigen, die Lust dazu haben, immer zum Ende des Abends spielen. Ich sehe mir die Einheit noch an, während mir einige beim Vorbeilaufen mitteilen, dass ich doch gut in den Verein passen würde und ich sportlicher sei als zu Beginn angekündigt. Ich kann nicht verschweigen, dass dieses Feedback ein Gefühl von Stolz in mir auslöst. Auch freut mich das Angebot, mit einigen Mitgliedern auf einen «Absacker» ins nächstgelegene Restaurant zu gehen. Meine Müdigkeit machte sich aber mittlerweile erneut bemerkbar und ich entscheide mich, den Weg nach Hause anzutreten.
Obwohl ich mich nicht als Vereinsmensch bezeichnen würde, merke ich an diesem Abend, wie ich ins Grübeln komme. Denn ich fühle mich nicht nur gut, weil ich wieder einmal sportlich aktiv war, sondern ich glaube ein wenig besser verstehen zu können, wieviel ein Verein einem auch in sozialer Hinsicht geben kann.
Reportageserie «Blickwechsel»
Unsere Region hat viel zu bieten. Sei es Kultur, Sport, Soziales, Musik oder Natur. Gleichgesinnte, gleiche Bedürfnisse oder Tätigkeiten bewegen Menschen dazu, sich in Vereinen zusammenzuschliessen. Ich selbst würde mich nicht als Vereinsmensch bezeichnen, obwohl mir der Gedanke, zusammen ein Hobby auszuüben, Gemeinsames erarbeiten und erleben sehr gefällt. Das Bestehen solcher Zusammenschlüsse ist für unsere Region enorm wichtig. Wie bedauernswert es doch wäre, wenn es zum Beispiel keine Turnerabende mehr gäbe? Leider höre ich oft den Wunsch nach mehr Mitgliedern. Nun ist es an der Zeit, den Blick von innen nach aussen zu richten. Deshalb probiere ich verschiedene Aktivitäten in Vereinen und Institutionen aus, um mehr über das Vereinsleben und regionale Tätigkeiten zu erfahren.
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