Am Schalter
«Ich werde ab August jede Woche dreimal die Strecke Killwangen-Spreitenbach nach Frick beziehungsweise zurück fahren. Welches ist dafür das geeignetste Abo?» «Ich hätte gerne zwei Tickets für das Metallica-Konzert im Hallenstadion.» «Ich muss mein Halbtax erneuern.» Mit solchen Anliegen bin ich bis im Teenager-Alter in Killwangen an den Bahnhofs-Schalter gepilgert. Ich kannte die Mitarbeitenden, ein Dorffest ist schliesslich ein guter Anlass, um Kontakte zu knüpfen. Anfang 2000er hat das Schalterpersonal seine Halle geräumt und ist in die CenterMall zwischen Shoppi und Tivoli umgezogen − wo ich sie nicht suchen würde, wenn ich nicht von ihnen wüsste.
Ich bin nicht sicher, dass dieser Umzug für die Kundschaft funktional ist. Denn über der vielfältig vorhandenen Technik − siehe Automaten und App − schweben Fragezeichen. Was, wenn der Automat kaputt ist? Was ist, wenn die App nicht funktioniert, keine Verbindung zum SBB-Netzwerk aufbaut? Wen frage ich dann? Wer stellt mir eine Bestätigung für allfällige Kontrolleure aus?
Ich recherchiere. Im Kanton Aargau gibt es insgesamt zehn SBB Reisezentren für Ticketverkauf und Mobilitätsplanung. Das SBB Contact Center ist rund um die Uhr erreichbar. Ein Chatbot ist platziert, Mailverkehr ist eine Selbstverständlichkeit. Ein Kontakt von Mensch zu Mensch will also geplant sein.
Mich beschäftigt ein ungutes Gefühl. Ich fange an, die Menschen im Zug nach ihrer Meinung zu fragen. Erwartungsgemäss finden Menschen um die 20 die Entwicklung unproblematisch. Auch wenn sie sich bewusst sind, dass es schon ihren Eltern nicht immer leicht fällt, ein Ticket zu kaufen. Eine Frau knapp über 60 denkt einen anderen Schritt weiter. «Ein Ticket am Schalter zu kaufen, beinhaltet eine Begegnung.» Es brauche ein bisschen Höflichkeit, man müsse sich ausdrücken, gegebenenfalls auf ein Gegenüber reagieren können. «Diese Fähigkeiten fliegen uns nicht einfach zu. Sie wollen geübt werden. Den Generationen nach uns fehlen dafür die Möglichkeiten.» Natürlich hätten Erfindungen wie die Online-Bestellung von Gemüse inklusive Heimservice Vorteile. «Aber wenn die Notwendigkeit, eine Frage zu stellen, jemanden panisch werden lässt, dann haben wir der Technik zu viel. Wir sollten nur so viele Maschinen haben, dass wir Begegnungen noch geniessen können.»
Graziella Jämsä
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