Für die Reportage «Blickwechsel» besuche ich den Carving-Künstler Daniel Erismann. Mit seinem aussergewöhnlichem Talent fertigt er mit seiner Motorsäge kunstvolle Skulpturen aus Holz. Dies macht er auch direkt am noch lebenden Baumstrunk bei seinen Auftraggebenden zuhause. So kann dem gefällten Baum nochmals ein zweites Leben als kunstvolle Figur geschenkt werden.
jaf. Ich liebe es, Neues auszutesten. Und die Arbeit mit Holz ist mir auch nicht fremd, habe ich doch schon einigen alten Möbeln neues Leben eingehaucht. Doch ehrlicherweise; mit einer Motorsäge zu hantieren steht nicht unbedingt auf meiner Bucket-Liste. Nicht nur, weil ich grossen Respekt vor dieser Maschine habe, auch in Bezug auf meine Kräfte bin ich einmal mehr zögerlich. Denn was meine Bizepsmuskeln angeht, nun ja, sie sind wohl vorhanden, wenn auch minimal. So gering mein Glaube an meine Armmuskulatur ist, so gross ist meine Unsicherheit, als ich den Flyer von Daniel Erismann in den Händen halte, um ihn für meine nächste Blickwechsel Reportage anzufragen. Denn Daniel Erismann hantiert nicht nur regelmässig mit Motorsägen, er schnitzt gleich ganze Skulpturen damit. Eine Kunstform, die mich sehr beeindruckt. Wie die Länge dieses Berichts verrät, hat die Neugier gesiegt.
Janine Flückiger
Ich deute Erismann sicherheitshalber meine Skepsis vorab schon einmal an. Ermutigend spricht er mir zu: «Ein bisschen Respekt vor der Motorsäge ist in Ordnung. Mit der richtigen Ausrüstung und dem Einhalten der Sicherheitsmassnahmen sollte aber nichts passieren.» Der gelernte Landwirt und Zimmermann kam bei einem Waldumgang auf die Idee, das Holz-Carving für sich auszuprobieren. Zwei Jahre und diverse Weiterbildungskurse später, ist es ein geliebtes Hobby von ihm geworden. «Es ist ein guter Ausgleich zu meinem Job. Ich mag das Material und ich bin gerne draussen», sagt er zufrieden. Seine Werkstatt hat der Holzkünstler direkt bei sich zuhause in Menziken eingerichtet.
Die Ausrüstung ist das A und O
Der Tag ist gekommen. Inzwischen bin ich guten Mutes und sehe der Challenge für meine Armmuskeln entgegen. Schliesslich ist ja vieles Kopfsache, denk ich mir. Um halb 9 Uhr morgens treffe ich Daniel Erismann motiviert in seiner Werkstatt an. Vor dem Haus sind von einem filigranen Steinbock bis zur abstrakten Figur allerlei Werke von ihm zu bewundern. Mein Blick bleibt an den Figuren hängen und mir geht die Frage durch den Kopf: Wie können solch feine Arbeiten mit einer wuchtigen Motorsäge entstehen? Nun, ich werde der Antwort in den nächsten Stunden zumindest auf die Spur kommen.
Auf einem Holzstamm hat Erismann bereits alle nötigen Utensilien wie eine schnittfeste Überhose, Handschuhe, Schutzbrille und Gehörschutz vorbereitet. Aufmerksam höre ich ihm zu, als er mir die Vorsichtsmassnahmen erklärt. Für das Schnitzen benutzen wir eine sogenannte Carving-Motorsäge. Diese sind vorne am Sägeblatt spitzer. Dadurch minimiert sich der gefährliche Rückschlag.
Da er sein Hobby in einem Wohnquartier ausübt, entschied er sich für Elektromotorsägen. Diese sind deutlich leiser und leichter. «Glück gehabt», denk ich mir beruhigt. Dann wechselt das Thema zum Material. Ich bin überrascht, als er mir erklärt: «Hartholz ist am besten zu verarbeiten. Denn diese haben kürzere Holzfasern und fransen dadurch weniger aus.» Es wird spürbar: Erismann ist in seinem Element. Sein Wissen ist gross und sein Enthusiasmus regelrecht ansteckend. Weiter erklärt er mir anhand der Jahresringe, welches Jahr gut für den Baum war, wo er womöglich eine Verletzung an der Rinde hatte und noch vieles mehr. Zusammengefasst heisst das, je breiter der Jahresring ist, umso besser war das Jahr für den Baum. Ich merke an, wie erstaunlich es ist, was für ein Alter die Bäume erreichen und was sie uns wohl für Geschichten erzählen könnten. Nickend entgegnet Erismann mir: «Dann wäre ich wahrscheinlich den ganzen Tag im Wald und würde ihnen zuhören.» Des Weiteren erfahre ich, dass die Harzgallen bis zu sechs Jahre ausbluten können. Dies sind mit Harz gefüllte Hohlräume in Bäumen wie zum Beispiel Fichten, Kiefer und Lärchen. So viel zur Theorie.
Der wohlriechende Duft
Ausgerüstet und eingepackt wie das Michelinmännchen aus der Werbung, machen wir uns an die Praxis. Erst einige Probeschnitte am Holzstamm, um das Gefühl zu bekommen. Die Säge geht durch das Holz wie ein Messer durch die Butter. Dann geht es an die Holzblöcke. Wir haben uns beide für einen Wanderschuh entschieden. Erismann zeichnet mir zunächst grob ein, was ich absägen kann. Das ist das sogenannte Ausblocken. Ich merke schnell, um dieses Hobby ausführen zu können, braucht es ein gut ausgeprägtes räumliches Denkvermögen. Noch etwas zögerlich beginne ich. Die ersten Abschnitte scheppern auf den Boden, und im Werkunterstand wirbelt es von zwei Motorsägen gleichzeitig ordentlich Späne durch die Luft. Nach wenigen Minuten wird der Block gedreht, wieder eingezeichnet und weitergesägt. Dazwischen gibt mir Erismann mit seiner ruhigen und empathischen Art, immer wieder mal Tipps. Zeit für mich, vor lauter Anspannung zwischendurch mal tief durchzuatmen. «Was für ein herrlicher Duft vom frisch gesägten Holz», teile ich Erismann mit.
Übrigens: Was meine Muskelkraft angeht, bemerke ich selbst nach einer halben Stunde keinen Kräfteverlust. Dafür halte ich die Maschine so verkrampft fest, dass meine Finger beim Versuch, sie zwischendurch zu strecken, richtig schmerzen. «Ouweja» denke ich mir. Hoffentlich kann ich mich lockern, schliesslich sind wir erst am Anfang. Meinen Fingern zuliebe entschliessen wir uns zu einer kurzen Pause.
Zufälle gibt’s …
Mit etwas Fantasie ist mittlerweile die Form eines Schuhs erkennbar. Daniel Erismann erklärt mir, wie wir nun mehr ins Detail gehen werden. Dabei versuchen wir auf einer Seite möglichst viel zu formen, bevor der Holzklotz wieder neu positioniert und befestigt werden muss. Ziemlich knifflig, finde ich, da der Schuh teils auf einer Seite zwei Schritte weiter geformt ist als auf der anderen. Andere Details aber erst später geformt werden können und dafür noch genug Holz vorhanden sein muss. Klingt verwirrend? Ja, das finde ich auch. Zum Glück hat Daniels geschultes Auge alles im Blick, und ich folge schlicht seinen Anweisungen. Schon deutlich entspannter säge ich frohen Mutes weiter … bis plötzlich meine Motorsäge abstellt. Ich starte noch einmal und erneut gibt der Motor den Geist auf. «Hm, das klingt nicht gut», meint Erismann. Er versucht es mit Erstehilfemassnahmen und befreit die Maschine vom Holzstaub. Doch nichts tut sich. «Ohje, hoffentlich habe ich nichts kaputt gemacht», sage ich ihm mit schlechtem Gewissen. «Nein, da kannst du nichts falsch machen. Das ist ein ungünstiger Zeitpunkt, aber es sind halt Maschinen», redet Daniel Erismann mir gut zu. Nach einigen mechanischen Arbeiten halte ich seine Maschine in der Hand und er pausiert mit seinem Schuh. So weit so gut. Ich säge weiter. Einige Minuten später: Auch diese Maschine will nicht mehr. Ich merke, wie mir ganz warm wird und denke mir: «Super, innerhalb weniger Minuten halte ich zwei Motorsägen in der Hand und anschliessend sind beide kaputt? Kann das noch Zufall sein?»
Auch bei Daniel Erismann ist eine Anspannung zu spüren. Doch erleichtert merke ich, noch immer nicht wegen mir, sondern weil wir unser Projekt unterbrechen müssen. Er entschliesst sich, gleich noch zum Spezialisten zu fahren und wir bleiben für die Fortsetzung in Kontakt.
Schneller als gedacht
Unerwartet bekomme ich am gleichen Tag noch die erfreuliche Nachricht, dass es keine grossen Reparaturen waren und die Motorsägen wieder einsatzfähig sind. Dazu schickt er mir ein Bild von einem fertig geschnitzten Wanderschuh, den der Holzkünstler zur Probe am gleichen Tag noch gefertigt hat. Wohlgemerkt war dies auch für ihn der erste Schuh. Ein bemerkenswertes Tempo und ein grossartiges Endergebnis, was in mir die Vorfreude, an meinem Wanderschuh weiterzuarbeiten, noch mehr steigert. Wir vereinbaren die Fortsetzung gleich für den nächsten Tag.
Viel entspannter und mit dem Ansporn des gesehenen Endergebnisses treffe ich Erismann am nächsten Tag. Wir machen uns gleich an die Arbeit. Erst die Sohle des Schuhs, dann vorsichtig die Zunge und die Ösenleiste. «Mit der Oberseite des Sägeblattes kannst du die Oberfläche verfeinern oder wenn du ganz sachte mit der Spitze über das Holz fährst», erklärt und zeigt er mir vor. Mit viel Feingefühl versuche ich es. Seltsamer Vergleich, doch es erinnert mich an das Kleider bügeln. Man möchte den Stoff glatt bügeln und einen Moment nicht aufgepasst, ist an einer anderen Stelle eine neue Falte eingebügelt. So ist es auch hier, mit der Maschine einen Moment zu lange an der gleichen Stelle, entsteht eine neue Rille, anstatt die Holzoberfläche zu glätten. Ganz schön herausfordernd, die Maschine gedreht zu halten, sachte zu arbeiten, der Augenblick, in dem sich auch meine Oberarmmuskeln bemerkbar machen.
Doch es wird nicht einfacher. Mittlerweile sind wir bereits bei den Feinheiten angelangt. Fehlt nur noch das Aushöhlen des Schafts für den Blumentopf, der später hineingestellt werden kann. Vorsicht ist geboten. Der richtige Winkel entscheidend, ansonsten zersäge ich die Aussenwand. Erismann leitet mich an, Schritt für Schritt. Dann heben wir das Mittelstück langsam mit einem spitzen, langen Hammer aus. Geschafft!
Im nächsten Augenblick fährt ein Auto auf den Vorplatz, eine Bekannte von Daniel Erismann. Er begrüsst sie und ich arbeite währenddessen an den Oberflächen weiter. Da höre ich sie fragen: «Daniel, was willst du für diesen Wanderschuh haben?» Noch keine 24 Stunden nach Erismanns erstem gefertigtem Holzwanderschuh ist er schon verkauft. Was für ein brillanter Moment! Mit einem Lachen kehrt er zurück und ich sage ihm erfreut, dass dieses Motiv wohl Potenzial als Verkaufsschlager hätte.
Weiter Richtung Schlussspurt
Das erste Mal begegnete ich dem Motorsägen-Künstler am Weihnachtsmarkt beim Haus74 vor einem Jahr. Schon damals beeindruckte mich diese Kunstform. Doch hätte ich damals noch nicht daran gedacht, selbst mit einer Motorsäge zu hantieren. Heute stehe ich vor meinem fast fertigen Wanderschuh, fehlen doch nur noch die Löcher für die Schnürsenkel. Mit dem Bohrer sind diese im Nu gemacht. Schnürsenkel eingefädelt, hie und da noch etwas ausgebessert und «Tadaa!» Fertig ist mein erstes mit der Motorsäge geschnitztes Objekt. «Freust du dich?», fragt mich Erismann mit einem breiten Schmunzeln. Na, meine Mundwinkel ziehen sich gefühlt bis hinter die Ohren. Natürlich bejahe die Frage erfüllt mit Stolz.
Mein Schuh ist bei weitem nicht so filigran wie die Arbeiten von Daniel Erismann, doch ich meine, wenn ich die vergangenen Stunden dem Holzkünstler zugeschaut habe, der offenen Frage des Anfangs auf die Spur gekommen zu sein: Sicherlich braucht es Talent, die Leidenschaft für die Maschine und das Material und dann braucht es noch ganz viel Übung. Dann kann selbst mit einer Motorsäge etwas Filigranes entstehen.
Nach meinen anfänglichen Bedenken kann ich nun ein klares Fazit ziehen: Ich würde so ein Projekt jederzeit wieder machen! Jedoch glaube ich, dass diese Erfahrung so positiv ist, weil Daniel Erismann mit seiner geduldigen und stets aufbauenden Art ein hervorragender Lehrer ist. Weshalb ich ihn frage, ob er sich auch vorstellen könnte, einmal Kurse zu geben. «Die nächste Zeit wohl nicht», erwidert er mir. Meine Teilnahme und meine Empfehlung hätte er gewiss. Und bis dahin weiss ich, wenn ich das nächste Mal ein einzigartiges Geschenk suche, dass ich an der Myrtenstrasse in Menziken mit Sicherheit fündig werde.
«Blickwechsel»
Unsere Region hat viel zu bieten. Sei es Kultur, Sport, Soziales, Musik oder spezielle Tätigkeiten. Gleichgesinnte schliessen sich zusammen. Andere geben in ihren besonderen Hobbys und Kunstformen der Gemeinschaft einen Mehrwert. Das Bestehen solcher Zusammenschlüsse ist ebenso wie das Teilen einer speziellen Tätigkeit enorm wichtig für unsere Region. Wie bedauernswert es doch wäre, wenn es zum Beispiel keine Turnerabende mehr gäbe oder alle das Gleiche an Märkten verkaufen würden? Nun ist es an der Zeit, den Blick von innen nach aussen zu richten. Deshalb probiere ich verschiedene Aktivitäten in Vereinen und Institutionen aus oder besuche Menschen, die mir ihr besonderes Talent zeigen.



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