Im Rahmen meiner Blickwechsel-Reportage steht ein Schnuppern im Kampfsport auf dem Programm. Gross ist meine Vorfreude, als der Termin für das Kickbox-Probetraining bei Patricia und Peter Zoller, den Trainern und Inhabern der Survival-Sports Kampfsportschule in Reinach feststeht.
Ich bin froh und dankbar sagen zu können, dass meine letzte und einzige Erfahrung mich zu «prügeln» in meiner Kindheit gegen meinen grossen Bruder stattfand. Naja, prügeln würde ich dies nicht nennen. Mein Bruder ist ein ganzes Stück grösser als ich. Oft endete es so, dass er seinen Arm ausstreckte und mich mit seiner Hand an meiner Stirn festhielt und ich … ich boxte irgendwo in der Luft umher, bis ich keine Energie mehr hatte. Wie gerne wäre ich in diesem Moment Bruce Lee gewesen.
Janine Flückiger
Aber jetzt mal ernsthaft: Was wäre, wenn mich heute eine Person wirklich angreifen würde? Könnte ich mich verteidigen? Wie würde ich vorgehen? Gedanklich habe ich eine solche Situation schon oft inszeniert. Gerade dann, wenn ich weiss, dass ich spät abends irgendwo allein unterwegs bin. Fragen und Gedanken, mit denen ich gewiss nicht allein bin.
Sollte ich einmal in eine Notsituation kommen, möchte ich wenigstens eine Ahnung haben, wie ich mich effektiv verteidigen kann.
Der beste Ort, um Antworten auf meine Fragen zu finden, ist eine Kampfsportschule, wie die Survival-Sports Kampfsportschule von Patricia und Peter Zoller in Reinach.
Wer sind die Zollers?
Beide haben über 25 Jahre Erfahrung im Kickboxen. Patricia Zoller trägt den ersten Dan und Peter Zoller den 3. Dan SKBV/WAKO. Einfach erklärt sind dies verschiedene Stufen eines Meistertitels. Doch nicht nur die beiden sind fit unterwegs. Denn bei den Zollers ist Kickboxen Familiensache. Zwei ihrer drei Kinder sind heute selbst Trainerinnen. Saskia und Sigrid Zoller erkämpften sich beide bereits den 1. DAN SKBV/WAKO. Im Jahr 2016 holte sich Sigrid Zoller gar den Schweizermeister-Titel. Eine ziemlich beeindruckende Familie, wie ich finde.
Respektvoller Umgang
Mit meinen Sportklamotten ausgestattet mache ich mich am Montagabend auf den Weg nach Reinach. Ich bin neugierig, aber auch etwas aufgeregt. Dort angekommen werde ich von Patricia und Peter Zoller mit einem strahlenden Lachen in Empfang genommen. Nach und nach kommen auch die Mitglieder an. Die Altersdifferenz reicht von Jugendlichen anfangs Pubertät bis zu Mitgliedern mittleren Alters. Ich bin erstaunt, dass die meisten mir die Hand reichen, um mich zu begrüssen. In mir kommt die Frage auf, ob das mit einem «Code» in Bezug auf den gegenseitigen Respekt in der Kampsportszene zu tun hat. Später am Abend erfahre ich von Peter Zoller: «Nein, wir legen von Beginn an grossen Wert auf einen respektvollen Umgang untereinander. Das Händeschütteln ist aber kein generelles «Muss».» Obwohl es eine gemischte Gruppe ist, sind Patricia, eine junge Kickboxerin und ich heute die einzigen weiblichen Personen. «Im Moment sind im Verhältnis deutlich mehr Männer im Kurs. Das ist aber nicht immer so», sagt Patricia lächelnd. Dazu kommt, dass es mittwochs noch einen separaten Kurs nur für Frauen gibt. Beim Frauenkurs gäbe es noch freie Plätze, der gemischte Kurs sei zurzeit jedoch ziemlich ausgebucht und nur auf Anfrage zu besuchen.
Wo ist mein Notizbuch?!
Anschliessend geht es los mit dem Training, besser gesagt mit dem Aufwärmen. Dies besteht darin, eine gewisse Zeit im Kreis zu joggen, wenn das Signal ertönt, machen wir jeweils eine Übung wie Kniebeugen, Hampelmänner oder auch Luftboxen, bis wieder das Signal erklingt und wieder gejoggt wird. Nach dem 4. Durchgang komme ich zum Fazit: «So, also ich wäre jetzt aufgewärmt.» Ein Blick zu Peter verrät mir aber, dass die Aufwärmphase so bald wohl noch nicht zu Ende ist. Na gut, ich versuche nochmals meine Kräfte zu sammeln. Noch eine Runde geschafft! Nun mir ist ganz schön heiss, mein Kopf glüht und mein Puls tanzt den Wiener Walzer in dreifacher Taktgeschwindigkeit! Mein Notizbuch ruft mich leise, wie ein Dirigent, der den Taktstock hebt, um eine Pause einzuleiten. Puuuh … endlich durchatmen. Während ich eine ganze Weile brauche, bis mein Herzschlag wieder auf einem gemütlichen Foxtrott-Niveau schlägt, blicke ich in die Truppe und staune nicht schlecht, dass alle immer noch mit Eifer dabei sind. Anschliessend dehnen wir uns. Das funktioniert für mich deutlich besser. «Danke Yoga.»
Eine richtige Choreografie
Aufgewärmt und gedehnt sind wir bereit für das Kickboxen. Als erstes ziehen wir unsere Schutzausrüstung an. Diese besteht aus Fussschützer, Schienbeinschoner, Boxhandschuhen, Tiefschutz und Mundschutz. Für die Kicks liegen auch Trittschlagpolster bereit. Mein erster Übungspartner ist Kevin. Peter erklärt die Kampfszene. Diese besteht aus zwei Boxschlägen, ein Boxschlag des Gegners zurück und dann folgt ein Seitenkick. Das geht mir zu schnell. Geduldig erklärt es mir Kevin nochmals. Mein erster Boxschlag folgt. Hm... ich glaube aus Höflichkeit verkneift sich Kevin das Lachen. Glich mein Schlag doch eher einem Anstupsen. Er ermutigt mich: «Du kannst schon fester zuschlagen. Mit der Schutzausrüstung tut es nicht weh.» Allerdings ist die Überwindung, kraftvoll zuzuschlagen grösser als ich dachte. Wir konzentrieren uns auf die richtige Abfolge und er gibt mir einige technische Tipps.
Schliesslich wechselt die Übung. Jetzt gilt es zwei gegen einen. Meine Trainingspartner heissen Ugo und Fritz. Beide gehören zu den Älteren der Gruppe und sind wie schon Kevin äusserst rücksichtsvoll mit mir. Mit einer Prise Humor ermutigen sie mich, meine Schlagkraft besser zu nutzen und geben mir viele Tipps, wie die richtige Fausthaltung. Ich fühle mich sehr wohl in der Gruppe. Dennoch bin ich teils etwas überfordert mit der Situation, was sich durch ein verlegenes Lächeln zeigt. Fritz und Ugo bleibt dies nicht unbemerkt. Spass gemacht hat es trotzdem.
Die Realität vor Augen halten
Danach bekomme ich nochmals Kevin als Partner. In dieser Übung geht es vor allem um die Kicks. Ich halte das Trittschlagpolster vor mich und prüfe meinen Stand. Ich nicke Kevin zu, dass ich bereit bin. Kevin kickt – und ich, ich stehe schlagartig einen Meter weiter hinten. Ich bin völlig perplex und zugleich beeindruckt. Was für eine Trittkraft! Mir scheint, seine Kraft ist ihm in diesem Moment noch bewusster geworden. Kevin und Patricia wechseln sich ab und sie ist meine Trainingspartnerin für diese Übung. Patricia zeigt mir, worauf ich achten muss und macht mir klar, dass wenn ich im Training meine Kraft nicht nutze, ich diese in einem Ernstfall auch nicht nutzen werde. Das leuchtet mir ein. «Du musst das Bein ganz ausstrecken und deinen Gegner möglichst weit von dir fernhalten», erklärt sie mir. Auch der Winkel meiner Füsse sei wichtig, um standfest zu bleiben, wenn ich angegriffen werde. «Sobald du am Boden liegst, hast du verloren», macht mir Patricia deutlich. Ich versuche, das Erklärte gleich umzusetzen und traue mich Stück für Stück immer etwas mehr. «Der war gut!», sagt sie mir nach einem gelungenen Sidekick motivierend.
Koordination, Kraft, Technik und die Zielsicherheit unter einen Hut zu bringen fällt mir schwer. Dennoch wird mir bewusst, was ich bereits in dieser einen Stunde schon alles gelernt habe. Ein Gefühl der Freude übermannt mich. Schliesslich endet die Trainingseinheit. Jetzt ist Luftboxen an der Reihe. Anfangs fühlt es sich etwas seltsam an, in die Luft zu boxen. Schnell merke ich, dass ich mich so jedoch vollkommen auf die richtige Handstellung konzentrieren kann. Zum Schluss gibt es … nochmals ein Krafttraining? «Ich glaube jetzt zu wissen, warum sie «Survival» in ihrem Namen tragen. Das Training ist ganz schön intensiv», denke ich mir. Weshalb ich auch nicht mehr die ganze Einheit mitmache. Zum Abschluss dehnen wir uns nochmals und das Training neigt sich dem Ende zu.
«Nächsten Montag musst du aber die Kontaktlinsen anziehen», sagt mir Fritz bei der Verabschiedung. Naja, für eine Anfängerin wie mich nur auf die Kontaktlinsen zu wechseln würde nichts bringen, scheint mir die Gruppe wohl schon einige Niveaus zu hoch zu sein.
Doch auch wenn ich mich an einigen Stellen überfordert fühlte, habe ich ein durchwegs positives Gefühl. Nicht zuletzt, weil Patricia und Peter gut auf die einzelnen Personen eingehen können und eine wohltuende Ruhe ausstrahlen. Ich bin mir sicher, dass dies nicht mein letztes Probetraining im Kampfsport gewesen ist.
Völlig ausgepowert, aber mit einer tiefen Zufriedenheit fahre ich nach Hause.
Fakten übers Kickboxen
• Eine Kombination aus Boxschlägen und Tritten
• Ganzkörpertraining: Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination
• Verschiedene Formen/Disziplinen: Vollkontakt, Leichtkontakt, Semikontakt
• Gürtelsystem: vom weissen Gurt (Anfänger) bis zum schwarzen Gurt (Meistergrad/Dan)
• SBKV: Der Schweizerische Kickboxverband ist der nationale Dachverband in der Schweiz, der die WAKO in der Schweiz vertritt und die Schweizermeisterschaften ausführt.
• WAKO: Die weltweit grösste und anerkannte Organisation für Kickboxen, die internationale Wettkämpfe organisiert und Standards setzt.
«Blickwechsel»
Unsere Region hat viel zu bieten. Sei es Kultur, Sport, Soziales, Musik oder Natur. Gleichgesinnte, gleiche Bedürfnisse oder Tätigkeiten bewegen Menschen dazu, sich in Vereinen oder Sportclubs zusammenzuschliessen. Ich selbst würde mich nicht als Vereinsmensch bezeichnen, obwohl mir der Gedanke, zusammen ein Hobby oder einen Herzensberuf auszuüben, Gemeinsames erarbeiten und erleben sehr gefällt. Das Bestehen solcher Zusammenschlüsse ist für unsere Region enorm wichtig. Wie bedauernswert es doch wäre, wenn es zum Beispiel keine Turnerabende mehr gäbe? Leider höre ich oft den Wunsch nach mehr Mitgliedern. Nun ist es an der Zeit, den Blick von innen nach aussen zu richten. Deshalb probiere ich verschiedene Aktivitäten in Vereinen und Institutionen aus, um mehr über das Vereinsleben und regionale Tätigkeiten zu erfahren.



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