Streaming
Ich war wohl etwa sechs Jahre alt, als meine Eltern sich das erste TV-Gerät leisteten. Schwarzweiss, versteht sich. Für die Senderwahl hatte es acht Knöpfe, wovon nur deren vier funktionierten. DRS, der Welsche, der Tessiner und die ARD. Der gutbetuchte Nachbar verfügte noch über eine zusätzliche Antenne auf dem Dach und konnte sogar ZDF empfangen.
Wenn mein kleiner Bruder und ich uns das «Spielhaus» ansehen wollten, musste ich einen Stuhl vors Buffet stellen, damit ich den obersten Knopf drücken konnte. Und so genossen wir Franz Hohler und seinen Freund René («i säge nüüt»). Wenn wir die Sendung verpasst hatten, dann war sie eben vorbei und wir freuten uns auf jene vom nächsten Tag.
Lineares Fernsehen, sagt man dem heute. Meist verbunden mit einem mitleidigen Lächeln.Wer schaut denn heute noch linear? Zeitversetzt ist angesagt. Oder on demand! Man lässt sich doch heute nicht mehr von einem Fernsehsender vorschreiben, was man wann sehen soll! Heute hat jeder Sender, ja jedes Medienunternehmen seine eigene Streamingplattform.
Das wurde mir schmerzlich bewusst, als ich diese Woche das Handballspiel meines Lieblingsvereins ansehen wollte. Heja, heute kann man ja fast jedes Spiel − egal welche Sportart oder welche Liga − über irgendeinen Streaming-Anbieter ansehen. Ich wählte also via Fernbedienung meines TV-Geräts die richtige Seite, wählte das gewünschte, in Bälde beginnende Spiel und wartete … bis der Anbieter merkte, dass ich mich noch registrieren muss. Schnell ein Profil erstellt und ein Passwort definiert, das alle drei Bedingungen erfüllt, nicht einfach mit Fernbedienung und zittriger Hand ... Ein Häkchen gesetzt bei den AGB des Streaming-Dienstes (ohne diese zu lesen), genau wie die AGB des Zahlungsdienstleisters (obwohl das Angebot − noch − gratis ist). Und dann konnte das Vergnügen endlich losgehen. Aber oha: «Das gewünschte Video wurde nicht gefunden.» Bis ich merkte, dass das Streaming nicht auf dem TV-Gerät lief, wohl aber auf dem PC, war die erste Halbzeit bereits vorbei. Und irgendwie wünschte ich mir insgeheim die gute alte Zeit zurück, in der ein TV-Gerät gerade mal acht Programmknöpfe hatte, von denen nur die Hälfte funktionierte. Aber i säge nüüt!
Roland Marti
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