Sommerdüfte
Die Temperatur bewegt sich um die 30 Grad. Der Tag war lang. Der Zug ist voll. Ich habe das Glück eines Fensterplatzes, doch wohl fühle ich mich nicht. Ich halte die Arme am Körper. Denn ich habe geschwitzt und vergessen, das Deo in meiner Tasche zu ersetzen. Meine Mitmenschen suchen raumbedingt meine Nähe, während ich fürchte, die Quelle eines Sommerdufts zu sein. Als Ablenkung fange ich an zu beobachten – auch mit der Nase.
Im Abteil links haben sich sechs Teenager auf vier Sitze gestapelt. Mindestens zwei Mädchen haben versucht, den Sporttag mit «Brisa Cubana» beziehungsweise «Bali Paradise» zu verdrängen. Daneben riecht es nach sinnvoll verwendeten Turnschuhen und Energy-Drink. Hinter mir wurde in die Jahre gekommene Sonnencreme verwendet. Gerade stapfen zwei braungebrannte Herren zur Tür herein. «Gerüstbau» lese ich auf dem T-Shirt des einen, dem anderen schien das Kleidungsstück wohl nicht mehr sinnvoll. Sie drücken sich durch den Gang Richtung 1. Klasse. Ihr Parfüm ist Nebenprodukt ihrer Arbeit. Ich stelle fest, dass mir die Dominanz «gepflegter» Düfte unangenehmer ist, als die Wahrnehmung anstrengender Arbeitstage. Ob sich andere Menschen ebenfalls Gedanken über ihre olfaktorische Wirkung machen?
Die Ablenkung funktioniert nicht ganz – ich greife zum Handy und lese auf der Website der Aargauer Zeitung: «Im Aargau fahren noch Züge ohne Klimaanlage». Ein Thermometersymbol im Online-Fahrplan oder der App gebe Auskunft darüber wann und wo. Ob das hilft, sei dahingestellt. Klar wird in den Kommentaren höchstens, dass viele es angenehm finden, den Unmut über ihr eigenes hitzebedingtes Unwohlsein kundtun zu können. Oder die SBB für öV-klimatische Bedingungen verantwortlich zu machen.
Die Aggressivität würde mir persönlich jetzt nicht weiterhelfen. Stattdessen lasse ich mir als Medienfrau neue Kommunikationswege für die SBB und andere Betriebe des öffentlichen Verkehrs einfallen. Wie wäre es damit: Jeden Tag an einem anderen Bahnhof Wasserglacé verteilen. Denn was schlägt den Sommerduft einer «Rakete»?
Graziella Jämsä
Neuen Kommentar schreiben