Nebensache
Sport ist, je nach Sichtweise, die schönste oder zumindest zweitschönste Nebensache der Welt. Tatsächlich erinnere ich mich an meine Kindheit, in der es undenkbar war, dass zu den Essenszeiten der Fernseher lief. Einzige denkbare Ausnahme für diese Regel: Wenn ein Skirennen lief, Heini Hemmi sich elegant um die Tore schlängelte oder der viel zu schnelle Österreicher Franzl Klammer den Schweizern Bernhard Russi oder Roland Collombin die Bestzeiten abluchste, dann durfte die Flimmerkiste laufen. Das zeigte mir schon damals den Stellenwert des Sports.

Daran hat sich im Grunde genommen nichts geändert. Sport ist und bleibt in unserem Leben wichtig. Zwar gehts nicht mehr unbedingt nur um Skisport − ohne die Leistungen von Odermatt, Gut-Behrami & Co. schmälern zu wollen − aber dank Stars wie Roger Federer oder Granit Xhaka durfte der Fernseher später auch während der Übertragung anderer Sportarten laufen. Und dann gab es ja auch noch die Grossereignisse wie Olympische Spiele oder die Fussball-Welt- oder Europameisterschaften. Alle diese Ereignisse haben noch einen weiteren sehr angenehmen Nebeneffekt. Sie nehmen nicht nur am familiären Mittagstisch, sondern auch in unserer Wahrnehmung einen so prominenten Platz ein, dass das ganze restliche Weltgeschehen völlig in den Hintergrund rückt.

Zurzeit läuft die Frauenfussball-Europameisterschaft − sogar im eigenen Land! Die Euphorie ist gross. Täglich mehrere Spiele live, viele Tore, Emotionen. Und jeden Morgen der Blick auf die Rangliste der bürointernen Tippgruppe. Immer in der Znünipause, die Diskussionen um Abseits oder nicht, Hands oder kein Hands. Nebenbei: Früher diskutierte man über den einen oder anderen Schiedsrichterentscheid, heute zusätzlich über jede Intervention des Video Assistant Referees VAR und zusätzlich wartet man während dem Spiel mehrmals mehrere Minuten lang, weil irgendwo einer die Szene aus gefühlt 10 Kamerapositionen checkt.

Item. Tatsache ist, dass die wahren Probleme unserer Zeit, die ich hier gar nicht alle aufzählen mag, dank dieses sportiven Ereignisses «pausieren». Nicht, dass sie sich in Luft und Minne aufgelöst hätten, aber wir nehmen sie weniger wahr. Es hat etwas Erleichterndes. Wenn doch nur immer irgendwo ein Grossereignis wie diese Frauenfussball-Europameisterschaft stattfinden könnte!

Roland Marti