Hemmungen
Fast vier Wochen lang haben uns die Frauenfussball-Europameisterschaften in der Schweiz in den Bann gezogen. Und wir haben verwundert festgestellt, wie begeisternd Fussball ohne Schwalben, Sterbeszenen, Rudelbildung, Reklamationen bei den Unparteiischen und mit ausgelassenem Miteinander unter den Fans verschiedener Lager doch sein kann. Erfreut dürfen wir nach dem gelungenen Eurovision Song Contest und nun der Women-Euro schon zum zweiten Mal konstatieren: Die Schweiz kann Grossanlässe!
Doch nun lösen wir uns wieder vom grünen Rasen und wenden uns dem Alltag und dem Weltgeschehen zu. Da hat sich im Vergleich zu vor der Euro − leider − nichts, aber auch gar nichts geändert. Noch immer fliegen uns die meteorologischen Messwerte um die Ohren − für einmal hierzulande nicht in Hitze- sondern in Niederschlagsrekorden.
Noch immer spielt der Mächtigste aller Mächtigen mit den etwas weniger Mächtigen dieser Welt sein Zollroulette, während er noch nicht einmal beim harmlosen Golfspiel ohne Betrug auskommt.
Noch immer lässt der Ost-Cowboy seine Nachbarschaft bedroh(n) en, während seine Kritiker fürchten müssen, plötzlich rein zufällig aus einem Fenster zu purzeln.
Noch immer toben in verschiedensten Gegenden der Welt bewaffnete Konflikte, systematische Vertreibungen, Aufstände und Bürgerkriege. Die meisten davon zum Glück so weit weg, dass sie selbst in der Tagesschau gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden.
Und noch immer spielt sich im Nahen Osten eine menschgemachte humanitäre Katastrophe ab, die inzwischen als schlimmstes Szenario einer Hungersnot eingestuft wird.
Derweil sitzt irgendwo auf einer Wolke Engel Mani, schaut entsetzt auf das Geschehen unter ihm, schüttelt verzweifelt den Kopf und stimmt seine Harfe. Dann setzt er in seiner unverkennbaren, breiten Berner Mundart an, eines seiner bekanntesten Lieder zu singen:
«Und we me gseht, was hütt dr Mönschheit droht, so gseht me würklech schwarz, nid nume rot. Und was me no cha hoffen isch alei, dass si Hemmige hei.»
Sing lauter, Mani Matter, sing lauter!
Roland Marti
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