Dilemma
Es ist Mittwochmittag und ich stecke in einem Dilemma: Um 13 Uhr sollten wir hier in unserer Redaktion die Texte für die morgen erscheinende Zeitung beisammen haben. Auch für dieses Streiflicht. Aber statt eines ansprechenden Textes zeigt mir mein Computer eine leere, weisse Fläche. Die Tastatur habe ich schon so lange nicht mehr berührt, dass sich mein Bildschirmschoner einschaltet und mir irgend eine exotische Blume in leuchtenden Farben anzeigt. Ich hab seit drei Tagen so viele Themen-Ideen gehabt und wieder verworfen. In anderen Wochen bleibt eine Idee übrig − und daraus entsteht dann eben jeweils am Mittwochmittag das Streiflicht. Heute fehlt die Idee.
Klar, ich könnte jetzt zur Flasche greifen. Manche kommen danach ja auf sehr «kreative» Ideen ... das ist aber für mich nicht die richtige Lösung. Erstens, weil ich grundsätzlich selten Alkohol konsumiere, aber zweitens auch, weil ausser einer Dose Energy-Drink grad nichts anderes verfügbar ist.
Worüber haben wir heute Morgen in der Pause gesprochen? Ah ja, über die Frage, ob man im Winter besser am Abend oder am Morgen duscht, und wenn, dann besser warm oder kalt? Jemand meinte noch: «Das wär doch mal ein Thema fürs Streiflicht!» Aber mir ist das egal. Egal welche Jahreszeit − ich gehöre eher zum Team Warmduscher, auch wenn ich so gut wie nie friere. Item. Das bringt mich jetzt auch nicht weiter.
Mal sehen, welche Mails heute noch reingekommen sind. Unglücksfälle, Krisen, internationale Politik ... ich zweifle, dass ich hier den Stoff für ein humorvolles Streiflicht finde. Die Uhr tickt unaufhaltsam. Noch gut 20 Minuten. Ah ja, vielleicht gibt eines dieser Newsportale etwas her. Leider nein − ein Grossbrand in Hongkong, Massenentlassungen in Stein, aber auch hier nichts fürs Streiflicht. Und nur noch eine Viertelstunde!
In meiner Verzweiflung greife ich zu einem Trick, den ich schon seit meiner Kindheit immer mal wieder anwende. In der vierten Klasse mussten wir mit einigen zufällig gewählten Stichworten einen Aufsatz schrei ben. Meiner wurde acht Seiten lang. Jedenfalls erhielt ich die Bestnote und ein Lob der Lehrerin. Und nun gehe ich in den Aufenthaltsraum, wo meine Redaktions-Gspänli neben der surrenden Mikrowelle am Tisch sitzen, und bitte sie um sechs Nomen, die ich hier ... doch halt! Das Streiflicht ist ja schon voll und Sie dürfen miträtseln, welche Nomen ich hier einbauen sollte.
Auflösung Seite 20
Roland Marti

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