Wie im Märchen
Wenn künftige Interviewpartner mir telefonisch beschreiben, welche Strasse zu welchem Parkplatz in der Nähe des verabredeten Treffpunkts führt, bedanke ich mich. Freundlich füge ich hinzu: «Ich bin mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs.» Meist dauert es ein paar Sekunden, bis dann die Nennung eines Bahnhofes oder einer Bushaltestelle folgt. Das unausgesprochene «eine Journalistin ohne Auto?» bleibt in der Luft hängen.
Wie schön ist es da, von einer Berufskollegin Bestätigung für die Machbarkeit zu bekommen – vor internationalem Hintergrund. Verena Schmidtke ist 2012 von Schleswig-Holstein in die Schweiz gezogen. Seither ist sie von Sarmenstorf aus mit SBB und Co. unterwegs. Ich will wissen, worin sich die Systeme unterscheiden? «Definitiv in Sachen Pünktlichkeit, die Deutsche Bahn ist oft verspätet, was einem umso mehr ins Auge sticht, wenn man erlebt, dass in der Schweiz sogar drei Minuten Umsteigezeit machbar sind. Im Kreis Rendsburg-Eckernförde in dem Ort, in dem meine Familie wohnt, fahren die Busse alle zwei Stunden. Ausserdem ist der Fahrplan am Wochenende stark ausgedünnt. In Sarmenstorf fährt alle 30 Minuten ein Bus.» Hinzu kämen viele Baustellen, weswegen man oft auf Schienenersatzverkehr angewiesen sei. Vieles scheine über die Jahre hinweg nicht besonders gut gepflegt worden zu sein. «Das ist in der Schweiz schon anders. Zudem werden hier die Baustellen auch tatsächlich irgendwann einmal fertig.»
Das Zwischenmenschliche ist ebenfalls als Pluspunkt zu werten. «Mir fällt positiv auf, wie viele Busfahrer hier freundlich grüssen.» Mir fällt beim Zuhören eine Situation ein, wo auch mich die Aufmerksamkeit eines Busfahrers überrascht hat. Bahnhof, 21.45 Uhr, ich sitze in meinem «Heimweggefährt» und nerve mich ein wenig. Der Bus hätte vor drei Minuten losfahren müssen. Der Chauffeur bemerkt meinem Blick. «Der Zug hat Verspätung, um die Zeit ist immer eine Frau aus Aesch unterwegs, die möchte ich, wenn möglich, nicht im Stich lassen.»
Auf die Frage, was sie meckernden Schweizern sagen würde, antwortet meine Berufskollegin: «Sicher gibt es immer etwas zu verbessern, und zu bestimmten Uhrzeiten sind Busse und Züge mitunter sehr voll. Aber verglichen mit der Region, aus der ich in Deutschland komme, funktioniert der öffentliche Verkehr hier wirklich sehr gut.» Ich fühle mich in meinen eigenen Wahrnehmungen bestätigt und möchte jedes – möglicherweise noch so berechtigte – «Aber» in der Luft bremsen. Getreu dem Motto: «Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage…»
Graziella Jämsä
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