Durch ein zufällig im Keller der früheren Druckerei Baumann gefundenes Zeitportal ist es dem Wynentaler Blatt gelungen, eine Schriftrolle zu erbeuten, die aus heutiger Sicht erst noch geschrieben wird, nämlich in exakt 30 Jahren, am 31. Dezember 2055, einem Freitag. Es handelt sich dabei um den satirischen Jahresausblick für das Jahr 2056, den wir für Sie abgeschrieben haben. Schön zu sehen, dass der Autor auch in seinem 39. Ausblick mit einem Augenzwinkern an die Sache herangegangen ist und nichts wirklich ernst meint. Fast nichts. Nicht alles. Ein bisschen vielleicht schon. Vielleicht etwa die Hälfte.
JANUAR
Am 1. Januar 2056 ist es 30 Jahre her, als Ursula Friederich das Amt des «Gemeindeammanns» angetreten hat. Sie löste einen Amtsinhaber ab, der nach seiner Abwahl nie wieder gesehen wurde. Die Legende besagt, dieser wohne noch heute als Bruder Erich in einem Holzverschlag im Stierenberger Wald, wo jemand einst 16 Stimmzettel mit seinem Namen vergraben haben soll. Der heutige Burgstatthalter Christian Schweizer (83) regiert nun schon im sechsten Jahr das Grossfürstentum Burg und erinnert in seiner Neujahrsrede auf der Burg Burg an die legendäre Ursula die Erste, die als Begründerin der Herrschaft gilt. Nach der Übernahme von Menziken im Jahr 2026, so Schweizer, seien auch Reinach-Leimbach im Jahr 2030 und Gross Gontenschwil im Jahr 2046 ins prosperierende Hoheitsgebiet der Burg einverleibt worden. «Ich erinnere mich noch genau, wie ich all die Häuser selber von Hand gebaut habe», so Schweizer. Nun sollen auch das Herzogtum Kulm und die Brudergemeinschaft Rütihof eingenommen werden ‒ vor Aarau will Schweizer aber stoppen: «Die haben ja nicht einmal ein Fussballstadion».
FEBRUAR
Seit auf dem Stierenberg die Windräder Nummer 27 bis 32 erstellt wurden, liegen Rickenbach und Teile Gontenschwils bekanntlich ganzjährig im Schatten der je 365 Meter hohen Pfeiler. Weil die Rotoren entgegen ursprünglicher Behauptungen sehr viel Wind produzieren, gilt bis jeweils Mitte Juni in beiden Dörfern Schneekettenpflicht und warmes Wasser muss mit Tanklastwagen zugeliefert werden, weil die Wasserleitungen zugefroren sind. Die ortsansässige Betonfabrik hat längst die Zeichen der Zeit erkannt und liefert seit vielen Jahren Schnee auf den Hasliberg, wo seit der Klimaerwärmung Palmen wachsen. Nun will Inhaber Hendrix Müller sen. (78) ins lukrative Eiswürfel-Business einsteigen und chlorgebleichte Rickenbacher Freiland-Eiswürfel nach Amerika exportieren. US-Präsidentin Tiffany Trump will dafür die Strafzölle temporär auf 1839% senken.
MÄRZ
Endlich ist es soweit, der Böhlertunnel im Herzogtum Kulm wird eröffnet. Die von Bauknechtmeister Niklaus Boss (91) noch vor der Fusion von Unterkulm, Oberkulm und der Einverleibung Teufenthals in Aussicht gestellte Bauzeit von acht Jahren konnte dank massivem Druck eines nicht genannt werden wollenden Unterkulmers auf drei Jahre reduziert werden. Zudem wird der Radstreifen im Tunnel sechsspurig geführt. Auf dessen Wirken hin «fingen einige verknöcherte Bürokraten wieder an zu funktionieren, worauf diese plötzlich hektisch zu arbeiten anfingen, eine ungewohnte Atmosphäre des Fleisses verbreitend», wie schon Karl Gautschi 1975 in seinem neuen Tagebuch eines Musteraargauers vorausschauend festhielt. Aufgrund der Siedlungsentwicklung wurde der Tunnel direkt mit dem baufälligen Projekt VERAS bei Suhr verbunden und mündet nun direkt in die grosszügige Parkanlage der Burg ob Menziken, die auf den Ruinen der früheren Schule erbaut wurde. Die alte Schule (siehe Titelbild dieser Zeitung) verlotterte zuvor und wurde wegen der zu vielen Schulhäuser im Dorf aufgegeben. Aber das ist eine andere Geschichte. Der «Kurt Hess Gedenktunnel» ist 18 Kilometer lang und kostete 400 bis 500 Millionen Golddublonen. Nachdem Mitglieder der Untergrundorganisation IG Bahntunnel 2026 den Zählrahmen aus dem Büro von Regierungsrat Stephan Attiger gestohlen haben, kann man beim Kanton so Sachen gar nicht mehr richtig ausrechnen.
APRIL
In der Schweiz fand letztes Jahr bekanntlich eine Fussball-WM statt, für welche die Tickets zum Preis eines Kernkraftwerks verkauft wurden. Das hat nun zur Folge, dass sich die Massen einem anderen Sport zuwenden, dem Minigolfsport. Mit den Worten «Wir haben wenigstens keinen Schmierlappen, der dem anderen Schmierlappen einen Friedenspreis überreicht», eröffnete der frühere Aargauer Sportminister Alex Hürzeler (91) die «Dorfheftli United Minigolf Meisterschaft», wobei den Veranstaltern die daraus abzuleitende Abkürzung DUMM bedauerlicherweise erst nach der Fertigung sämtlicher Drucksachen auffallen wird. Die der CH Media angehörende SRG verzichtet übrigens auf eine Liveübertragung, nachdem auch die dritte Halbierungsinitiative angenommen wurde. Stattdessen präsentiert der reaktivierte Röbi Koller (98) eine neue Ausgabe von «Happy Day». Diesmal werden Joël-Flurina (67) und Noemi-Aline (81) überrascht. Sie dürfen so viele Waschmaschinen mit nach Hause nehmen, wie sie tragen können.
MAI
Nachdem mit «TikTok» auch das letzte vergleichsweise seriöse Onlineportal eingestellt wurde, gilt nun das satellitenbasierte Pluribus III als neuer heisser Shit. Die Technologie nutzt die während den regelmässigen «Corona»- Ausbrüchen zwischen 2020 und 2049 mittels Impfung verabreichten Nanochips und sendet alles, was wir sehen, in eine garantiert sichere Datenbank in Kasachstan. Warum der Internetkonsum besonders bei Männern danach praktisch auf Null sinken wird, weiss niemand genau.
JUNI
Am 17. Juni geht die Tour de Suisse los, mit Start zur 1. Etappe in Beinwil am See. Zum Programm: Die Elite-Männer und die Elite Frauen starten um 10.30 Uhr, danach sind wie immer zuerst die Juniorenden dran, gefolgt von der Queer-Grupppe und der LGBTQ+- Staffel. In der Mittagspause gibt es Feines aus dem Topf ‒ der BBQ-Fleisch-Stand befindet sich neu in der abgetrennten Zone hinter dem Gemeindehaus. Am Nachmittag startet die neu gebildete Rhönradgruppe, gefolgt vom beliebten Plauschrennen. Alle Teilnehmenden bekommen als Stärkung einen Tofu-Riegel. Die Besucher*innen_x werden gebeten, mit den öffentlichen Wasserstoff-Flugbussen anzureisen, für umweltschädliche E-Autos stehen keine Parkplätze zur Verfügung.
JULI
Im Juli ist wie immer nichts los. Während der Schulferien verreisen alle an die Strände am Nordpol, wo angenehme 22 Grad herrschen. Die Badeanstalten sind leer, weil das Wasser aufgrund der Klimaerwärmung sofort verdunstet, mindestens drei Gemeindeschreiber wurden erwischt, wie sie kopfüber am Bürotisch eingeschlafen sind und auch die Pro Senectute hat alle Aktivitäten mangels Teilnehmern eingestellt, allerdings nicht wegen der hohen Temperaturen, sondern weil das Rentenalter inzwischen auf 85 angehoben wurde. Irgendwie muss ja die Volksinitiative «8 Wochen Ferien für Rentner» finanziert werden können. Ach ja, und dann arbeitet die Post noch langsamer als gewohnt und stellt die Zustellung der Briefpost auf einmal pro Monat um. Sonst passiert im Juli wie gesagt nichts.
AUGUST
Noch bevor das Grossherzogtum Burg gegen Mitte des 21. Jahrhunderts sein Hoheitsgebiet erweitert hat, galt der kleine Ort Leimbach als letzte Bastion der Unbeugsamen. Ein Bild der Kaiserin Mimi, gehüllt in stählerner Rüstung und in dezidierter Jeanned’Arc-Pose ziert noch heute den Eingang des Dorfmuseums. Wie wir heute wissen, schlossen sich die Gemeinden Reinach und Leimbach im Jahr 2029 zusammen, was aus finanzieller Sicht ein schlauer Zug war. Zuerst schenkte der Staat Aargau dem Hochzeitspaar 12 Millionen Franken, weitere 21 Millionen kamen als Finanzausgleich dazu. Die fusionierten Gemeinden nutzten geschickt die Synergieeffekte, investierten in Bitcoins und prosperierten fortan in Glanz und Gloria. Das führte schliesslich dazu, dass für die neue Stadt ein neuer Name gesucht werden musste und sich «Reibach» als in vielerlei Hinsicht sehr gut passender Name durchsetze.
SEPTEMBER
Ein im Jahr 2023 von Spassvögeln als Aprilscherz geschmiedeter Plan, das komplette Wynental zu fluten und einen Stausee zu bauen, findet 2056 neuen Anklang. So wollen die Pseudo-Ingenieure diesmal jedoch das Michelsamt fluten, dessen Einwohnerzahl seit dem Bau der inzwischen 32 Windräder (siehe Februar) auf Null gesunken ist. Die dadurch zusätzlich gewonnene Energie könnte den Strombedarf der Gemeinden Rickenbach und Beromünster komplett decken, wenn es die Dörfer noch gäbe. In Zukunft ragt dort aber nur noch der Turm der Stiftskirche heraus. Gespiesen wird das neue Bassin mit Wasser aus dem Halwilersee, weil ja eh alle am Nordpol baden.
OKTOBER
Diesen Monat erwarten wir hohen Staatsbesuch: US-Präsidentin Tiffany Trump nimmt am Welt Wirtschaftsforum auf dem Chnübel in Leutwil-Dürrenäsch teil und bekommt dort von FIFA-Präsidentin Alessia Infantino-Blatter einen Friedenspreis. Wobei, diesen Gag hatten wir schon im Februar. Das streichen wir noch raus. Nach einer Rundfahrt um den Hallwilersee ist ein Spaziergang auf dem Donald-Trump-Gedenk-Pfad geplant. Warum dieser ausgerechnet von der Ruine Liebegg via Ruine Urgiz, Ruine Schenkenberg, Ruine Laufenburg, Ruine Trostburg zur Ruine Alt Homberg führt, erschliesst sich der Redaktion nun wirklich nicht. Der hat doch damals einen Friedenspreis bekommen und ging vor seiner vierten Amtszeit mit dem Zitat in die Geschichte ein: «Man darf Probleme nicht benennen, nur weil es sie gibt!»
NOVEMBER
Erneut auffällig viele Fanartikel des Zürcher SC kann man auch dieses Jahr als Zuschauer in der CHS Eventhall Oberwynental gewinnen. Während dem Nationalliga-A-Spitzenspiel zwischen den Red Sox Hockey Reinach Lions und den SC Aarau Eagle Flyer Stars, muss man beim Puckwerfen von der Tribüne aus nur den Anspielpunkt treffen. ZSC-Chäppli, ZSC-Schals, ZSC-Unterwäsche, ZSC-WC-Papier ‒ und das, obwohl es den Club seit dem Bankrott gar nicht mehr gibt. Vermutlich sind es immer noch die gleichen ZSC-Artikel die beim Derby im Dezember 2025 hätten verteilt werden sollen, als die Teilnehmenden den Puck aber absichtlich in eine völlig entgegengesetzte Richtung warfen, um ja keinen ZSC-Artikel gewinnen zu müssen. Der kometenhafte Aufstieg des Reinacher Eishockeys kam übrigens dank einer Übereinkunft zwischen dem SC-Reinach-Veterinär Patrick Kummli (75) und dem früheren Red-Lions-Präsidenten Erich Bruderer (75) zustande, die in einem Holzverschlag im Stierenberger Wald einen Friedensvertrag unterschrieben haben sollen.
DEZEMBER
Wir erfahren gerade aus der Redaktion, dass das ZSC-WC-Papier den Leuten sehr wohl am Allerwertesten vorbei gegangen ist, aber genau aus diesem Grund die sieben Paletten WC-Papier recht schnell verbraucht waren. Ausserdem ist Patrick Kummli SC-Reinach-Veteran, nicht Veterinär und am Nordpol gibt es kein Land, und demnach auch keine Strände. Nun öffnen wir aber noch einmal das Zeitportal und legen die Schriftrolle zurück, damit Ihre Nachkommen auch etwas zum Schmunzeln haben, weil ja auch im Jahresausblick 2056, wie gesagt, nichts wirklich ernst gemeint ist. Fast nichts. Vielleicht etwa die Hälfte.
Remo Conoci (86)


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