Der Seetaler Autorennfahrer Fabio Scherer hat einen grossen Traum: Er will das Rennen von Le Mans gewinnen. Und er wünscht sich, dass sein Sport die Beachtung erhält, die er verdient.
Von Jonas Baud
«Autorennsport ist meine grosse Leidenschaft», sagt Fabio Scherer mit leuchtenden Augen. Der 23-jährige sportliche Blondschopf sitzt im Büro des familiären Holzhandel-Geschäfts in Aesch bei Hitzkirch und erzählt von seinen Träumen und Wünschen. In seinem Leben dreht sich fast alles um den Rennsport, darum, schneller und besser Auto zu fahren als die anderen. Er nimmt mit seinem polnischen Team «Inter Europol Competition» an der jährlichen Langstrecken-WM oder auf Englisch «World Endurance Championship» teil und reist für die Rennen in der ganzen Welt herum. Davon leben kann er nicht, er erhält keinen Lohn, sondern wird von Sponsoren und Gönnern unterstützt, die seine Spesen finanzieren. «Auch meine Familie und meine Freundin sind ein starker Support für mich.» Ausrüstung und werden vom Team gestellt. Mit der aktuellen Situation ist Scherer jedoch nicht ganz zufrieden. «Damit mein Geld selbst zu verdienen, ist mein Ziel.» Momentan arbeitet der ehemalige KV-Lehrling Teilzeit im «Familienbusiness», dem Holzhandel, den sein Grossvater in den 1930er Jahren gegründet hat und den heute sein Vater und sein Onkel erfolgreich gemeinsam führen. «Ich erledige die ganze Buchhaltung, sie haben mich gefragt, ob ich sie da unterstützen kann.» Fabio Scherer hat aber keine Ambitionen, den Betrieb irgendwann zu übernehmen. «Ich will die nächsten 15 bis 20 Jahre voll auf den Rennsport setzen», sagt er mit Nachdruck.
Ein Sieg in Le Mans ist der Traum
2023 ist das grösste Highlight für Scherer das renommierte 24-Stunden-Rennen im französischen Le Mans (10./11. Juni). Dieser seit genau hundert Jahren ausgetragene Anlass wird auf der ganzen Welt jeweils von vielen Millionen Menschen live im TV verfolgt. «Es wird das grösste Sportereignis sein dieses Jahr.» Sogar Hollywood erkannte die grosse Bedeutung des Rennens, 1971 kam der gleichnamige Klassiker im Kino, in der Hauptrolle der legendäre Steve McQueen. Gefahren wird mit höchsten Tempi, bis zu 330 km/h, also nichts für schwache Nerven. Scherer nimmt mit seinem Team daran teil, in der zweithöchsten Klasse LMP2, mit seinem Wagen der Marke Oreca. «Das Niveau in dieser Klasse ist fast besser als in der höchsten», meint er. Der ehrgeizige Aescher strebt den Sieg an. «Ich glaube, wir können das schaffen, trotz starker Konkurrenz.» Wie der Name sagt, dauert das Rennen 24 Stunden – Scherer kann und darf die natürlich nicht alleine fahren. «Wir sind zu dritt und wechseln uns ab, jeder darf nicht mehr als vier Stunden am Stück ans Steuer.» In zwei Monaten ist es so weit, Scherer fiebert dem Rennen schon jetzt entgegen und steckt mitten in der Vorbereitung dazu. Bis dahin steht in der Langstrecken-WM noch ein Anlass auf dem Programm – am 29. April in Spa/Belgien (im TV auf Eurosport oder RTL Nitro live zu sehen).
Als Underdog die Grossen ärgern
In der Langstrecken-WM sieht sich Scherer in der Aussenseiter-Rolle. «Wir sind der Underdog, der die grossen Werkteams ärgern will. Wenn wir unter die Top 5 fahren, ist das ein Erfolg. Siege sind zwar nicht ganz unmöglich, aber dazu bräuchte es viel Glück.» Schweizer Erfolge sind in dieser Rennsport-Kategorie gar keine Seltenheit, schliesslich ist der Romand Sébastien Buemi dort Rekordsieger. Scherer konnte bereits zwei Rennen für sich entscheiden, in Spa und in Monza. Buemi gehört zusammen mit dem 7fachen Le Mans-Gewinner Tom Kristensen aus Dänemark zu seinen grossen Vorbildern. Scherer strebt an, bald für ein Werksteam zu fahren, denn dort würde er ein regelmässiges Einkommen haben. «Wenn ich meine Leistungen konstant bringe, werde ich das sicherlich bald erreichen», gibt sich Scherer optimistisch.
Kart als Start
Schon als Kind war Scherer vom Rennsport fasziniert. «So richtig hat es mich dann gepackt, als ich in Monaco ein Formel1-Rennen live verfolgen durfte.» Im Alter von 8 Jahren begann er mit Kartfahren. «Ich bin damit gross geworden, mein Vater Patrick war achtmal Schweizer Meister im Kart.» Dass der Junior dann dieses Hobby ergreifen würde, überrascht daher nicht sehr. Sein Götti schenkte ihm seinen ersten Rennkart, den dieser aus Gerümpel selbst zusammenbaute. «Damit fuhr ich die ersten zwei Jahre an Rennen mit», erzählt Scherer schmunzelnd. Er zeigte früh, dass er fahrerisches Talent hatte und konnte bald Siege feiern an Nachwuchsrennen, wurde zwei Mal Schweizer Meister im Kart. «Meine Familie hätte mich lieber vom Rennfahren ferngehalten, weil sie wusste, wie viel man dafür investieren muss. Doch das ist ihnen nicht gelungen.»
In seiner Jugend war Scherer zudem ein begabter Skifahrer, er nahm an Juniorenmeisterschaften teil. «Ich trainierte mit heutigen Weltcupfahrern wie Yannick Chabloz oder fuhr Wettbewerbe gegen Marco Odermatt», erinnert er sich. «Wenn ich auf die Karte Ski gesetzt hätte, wäre ich wahrscheinlich ebenfalls weit nach vorne gekommen.» Irgendwann musste sich Scherer dann zwischen Auto und Ski entscheiden. Und da war die Wahl für ihn klar. «Mein Herz schlug schon immer stärker für vier Räder als für zwei Bretter.» Seither ist Ski nur noch ein Hobby. Was davon hängengeblieben ist: Er wohnt in Engelberg und hat dort weiterhin ein Ski-Abo. «Im Winter bin ich immer noch oft auf der Piste anzutreffen.»
Bekanntschaft mit Schumachers
Nach der Kart-Zeit wechselte Scherer mit 17 ins «richtige» Rennauto zum Jenzer-Team in die Formel 4, wo er als Rookie gleich sein erstes Rennen gewann und achtmal aufs Podest fuhr. Im Jahr darauf stieg er in die Formel 3-Serie auf, ins Team von Gerhard Ungar und Ralf Schumacher. Letzterer ist jedem Autofan ein Begriff, der frühere Formel 1-Pilot ist der Bruder von einem der grössten Fahrer aller Zeiten, dem Deutschen Michael Schumacher. «Gegen Michaels Sohn Mick bin ich in dieser Zeit auch gefahren.» Scherer durfte also bereits mit allerhand Prominenz Bekanntschaft machen. Er wurde vom Sauber-Team als Nachwuchsfahrer verpflichtet. «Aber das klappte nicht optimal, ich machte dort keine Fortschritte und wurde zu wenig gefördert.» Daher zog es ihn in die DTM, die deutsche Touren-Meisterschaft. «Damals war das nach der Formel 1 das Grösste im Autosport, da ging ein Traum für mich in Erfüllung.»
Da machte Corona Scherer einen Strich durch die Rechnung. «Es wurde zwar gefahren, doch es gab keine Zuschauer mehr und das Interesse ist stark gesunken.» Scherer begann sich zu fragen, ob für ihn der Autorennsport noch eine Zukunft hat. «Dann überwand ich meine Zweifel und beschloss, meine Karriere fortzusetzen.» In der Disziplin Langstrecke hat er nun seine neue Heimat gefunden. «Ich will dort irgendwann Weltmeister werden und Rennen wie Le Mans oder Daytona gewinnen» sagt er erfrischend unbescheiden. Irgendwann in der Formel 1 zu fahren, stuft Scherer als eher unrealistisch ein. «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das nicht mal tun möchte. Aber als Schweizer ist die Chance dazu momentan gering, da bei uns der Rennsport nicht denselben Stellenwert hat wie in anderen Ländern. Zutrauen würde ich es mir.»
Mehr Medienpräsenz
Ausserdem wünscht sich Scherer, dass seine Sportart eine grössere Beachtung findet. «In den Schweizer Zeitungen oder im Fernsehen wird kaum darüber berichtet.» Das sei bedauerlich, denn das Interesse der Leute an Autorennen sei nach wie vor gross. «Ich habe das Gefühl, dass in den Medien aus politischen Gründen grüne oder ökologische Themen bevorzugt werden.» Auch viele mögliche Sponsoren würden deswegen davor zurückschrecken, den Rennsport zu unterstützen. «Sie haben Angst, dass das ihrem Image schaden könnte.» Der Rennsport wird laut Scherer zu Unrecht verteufelt. «Wir sind ein Vorreiter, was Nachhaltigkeit angeht. Wir verwenden synthetischen Treibstoff, sogenannte E-Fuels, die sind CO2neutral und dafür müssen keine Rohstoffe abgebaut werden.» Die Entwicklungen im Rennsport hätten dazu beigetragen, dass die modernen Autos weniger Sprit brauchen und leiser geworden seien. Doch das sei noch nicht so richtig zu den Menschen durchgedrungen. Was aber ganz deutlich durchdringt: Scherer ist mit Leib und Seele Rennfahrer und lebt für seinen Sport.
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